Berliner trainieren für Olympia: Aus der Zweiten Liga nach Peking
Florian Keller will mit der Hockeymannschaft nach Peking. Schon sein Vater und sein Großvater holten olympische Medaillen. Doch für den 26-Jährigen ist der Beruf wichtiger als der Sport.
Bis zum Erklingen der Schlusssirene sitzt Florian Keller in der ersten Reihe des Horst-Korber-Sportzentrums in Charlottenburg. Direkt hinter der Ersatzbank seines Hockeyteams, der Zehlendorfer Wespen. Keine zwanzig Sekunden später verlässt er die Halle. Im Stechschritt eilt der Nationalspieler an Freunden, Verwandten und Journalisten vorbei. Er wolle nur nach Hause, erklärt der Aufgehaltene, und fügte entschuldigend hinzu: "Ich bin total angefressen."
Keller ärgert sich über die 5:9-Niederlage seines Teams gegen Blau-Weiß Berlin. Das Viertelfinale der Deutschen Hallenmeisterschaft ist in unrealistische Ferne gerückt. Er selbst konnte am Samstagnachmittag wegen einer Schleimbeutelentzündung in der Schulter gar nicht mitwirken. Mal wieder.
Dabei gibt es aus seiner jüngsten Vergangenheit nur Positives zu berichten. Im Herbst hatte sich der 26-Jährige nach anderthalbjähriger Pause für ein Comeback in der deutschen Nationalmannschaft entschieden. Denn im kommenden August möchte Keller dabei sein - bei den Olympischen Spielen in Peking.
Seine Chancen stehen gut. Keller zählt seit vielen Jahren zu den Topstürmern im deutschen Hockey. Er ist antrittsschnell und technisch äußerst versiert. In 81 Länderspielen erzielte er stattliche 41 Tore. Und obwohl sein Verein, die Zehlendorfer Wespen, im Feldhockey nur zweitklassig spielt, fand er Ende November rasch wieder den Anschluss an die internationale Klasse. Beim Turnier der acht weltbesten Teams, der Champions Trophy in Malaysia, war Keller mit fünf Treffern bester deutscher Torschütze.
Seinen Leistungsstand schätzt er dennoch derzeit mit 50 Prozent recht bescheiden ein. Der Berliner erklärt: "Mir fehlt es noch an Fitness, um auch meinen Defensivaufgaben gerecht werden zu können."
Und an Olympia verschwende er sowieso noch keinen Gedanken. Schließlich müsse sich das Team erst mal im April beim Qualifikationsturnier in Japan durchsetzen. Dort ist der Weltmeister von 2006 zwar haushoher Favorit, aber Keller warnt vor allzu viel Selbstsicherheit. Der Nationalstürmer scheint fast froh darum zu sein, sich noch nicht konkret zu Olympia äußern zu müssen. Er sagt: "Wenn es so weit ist, werdet ihr sowieso alle mit euren Keller-Geschichten kommen."
Seine Familie ist hoch dekoriert mit olympischem Edelmetall. Sein Vater Carsten Keller wurde 1972 in München Hockey-Olympiasieger, sein Bruder Andreas folgte 1992 in Barcelona und seine Schwester Natascha 2004 in Athen. Schon Großvater Erwin Keller gewann 1936 die Silbermedaille.
Der jüngste Sprössling der Hockeyfamilie weiß, dass die Medien im Vorfeld von Peking das Thema der olympischen Erblast wieder aufwärmen werden. Dann wird er erst einmal der Verlierer sein: derjenige in der Familie, der noch nichts gewonnen hat. Sein Europameistertitel von 1999 wird meist gar nicht wahrgenommen. "Ich bin auch froh, wenn wir in China gut spielen und Fünfter werden", behauptet Keller. Er gibt sich demonstrativ gelassen.
Ein verrückter Typ sei er, der jeder Mannschaft guttut, hat kürzlich die Hockeynationalspielerin Tina Bachmann über ihn gesagt. Keller weiß auch nach längerem Überlegen nicht, was an ihm "verrückt" sein könnte. Seine Biografie scheint von der Vernunft diktiert. Für seine Karriere als Versicherungskaufmann hat er die Olympischen Spiele 2004 in Athen sowie die Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land sausen lassen. So verpasste er Bronze- und Goldmedaille. Auch spielt er nicht mehr beim Berliner HC, dem Stammclub der Familie Keller. Er wechselte zu den schwächeren Zehlendorfer Wespen. Die hatten ihm einen Ausbildungsplatz angeboten.
Das ist vielleicht das Außergewöhnliche an ihm: Florian Keller ließ sich trotz seines viel gepriesenen großen Talents und der Familienerfolgsgeschichte nie dazu verleiten, den Hockeysport über alles zu stellen. Und jetzt, da sein Arbeitgeber ihm die Vormittage zum Trainieren lässt, will er sicherlich mehr als einen fünften Platz in Peking. Bei den Zehlendorfer Wespen erstritt er sich das Trikot mit der Nummer eins, das eigentlich dem Torwart zusteht. Keller hat einen Hang zur Extravaganz. Und Ehrgeiz.
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