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Berliner gegen 68"An diesem Tag kochte die Volksseele"

Am 21. Februar 1968 demonstrieren 80.000 Berliner gegen die Studentenbewegung. Es war der Aufstand der normalen Bürger, sagt Uwe Wesel, ein Wegbegleiter der APO.

Der größte Feind der Normalbürger: Rudi Dutschke Bild: AP

taz: Herr Wesel, heute vor 40 Jahren demonstrierten 80.000 Berlinerinnen und Berliner gegen die Studierenden in der Stadt. War das der Beginn des revolutionären Scheiterns?

Uwe Wesel: Gescheitert war die Studentenbewegung damit noch lange nicht. Aber woran sich viele heute nicht mehr erinnern, das ist der massive öffentliche Druck, gegen den die Studentenbewegung von Beginn an zu kämpfen hatte. Der 21. Februar verdeutlicht das nur zu gut.

Vor dem Schöneberger Rathaus tobte ein wütender Bürger-Mob. Was brachte die Leute auf die Straße?

Der unmittelbare Auslöser war der Vietnam-Kongress, den Rudi Dutschke und andere einige Tage zuvor an der Technischen Universität organisiert hatten. Dem Kongress folgte eine Demo der Außerparlamentarischen Opposition (APO) gegen die Kriegsverbrechen der USA in Vietnam. Da gingen 15.000 Studierende auf die Straße - und weil der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Schütz (SPD) stark unter Druck stand, mobilisierte er zu einer Anti-Studenten-Demonstration, wie sie sicherlich einmalig war. Mit einer massiven Kampagne gemeinsam mit dem Gewerkschaftsbund (DGB) und dem Springer-Konzern brachte der Senat binnen wenigen Tagen 80.000 Leute auf die Straße.

Die Demo stand unter dem Motto "Berlin darf nicht Saigon werden". Wie konnte die Vietnam-Frage so viele Bürger mobilisieren?

Es ging natürlich nicht um Vietnam. Es ging darum, dass die Stimmung an der Freien Universität in Dahlem immer unberechenbarer wurde. Vietnam-Demos gab es viele. Aber als Eier dann gegen das Amerika-Haus in der Hardenbergstraße flogen, fühlten sich die normalen Berliner zunehmend bedroht. Für viele waren die Amerikaner damals die Schutzmacht, die sie vor Stalin bewahrt und die Luftbrücke organisiert hatte. Sie waren den USA sehr verbunden. Dass plötzlich die frechen, linken Studierenden mit ihren kommunistischen Forderungen immer präsenter wurden, ließ diese Berliner innerlich die Faust in der Tasche ballen. Die Demo war ein Aufstand der normalen Bürger gegen die linken Studenten

und den hatte der Senat penibel vorbereitet.

DIE BÜRGERFRONT AM 21. FEBRUAR 1968

Unter dem Motto "Berlin darf nicht Saigon werden" rufen am 21. Februar 1968 Senat, DGB und Springer-Presse zum Protest gegen die Studentenbewegung auf. Die Behörden geben ihren Mitarbeitern frei, viele Medien mobilisieren und heizen die gereizte Stimmung in der Stadt weiter an. 80.000 Berliner formieren sich vor dem Schöneberger Rathaus zum größten Anti-Studenten-Block der bundesrepublikanischen Geschichte. Teilnehmer der Demo verprügeln 30 Menschen, die sie für Studenten halten.

Das stimmt. Die Qualität, mit der mobilisiert wurde, hatte etwas Gespenstisches. Der Senat hatte mit aller Macht versucht, für alle Arbeitnehmer einen Dienstausfall zu erwirken, um sie zur Demo zu bekommen. Die Arbeitgeber machten da aber nicht mit. Dementsprechend wurde die Demonstration vor allem von Angestellten im öffentlichen Dienst besucht: Die hatten vom Senat kollektiv dienstfrei erhalten. Die Zeitungen druckten den Protestaufruf auf den Titelseiten, und die BVG bot Sonderfahrten nach Schöneberg an.

Zuerst war die Demonstration für das Wochenende geplant. Warum wurde sie auf den Mittwoch vorverlegt?

Die Organisatoren hatten Angst, dass die Arbeiter und Angestellten ihr Wochenende nicht für den Protest opfern wollten. Außerdem war die Aufregung nach dem Vietnam-Kongress frisch: Der Senat wollte diese Stimmung nutzen - und das hat auch erstaunlich gut funktioniert. So viele Bürger zusammenzubekommen war schon eine Leistung. Vor dem Rathaus Schöneberg standen die Menschen bis in alle Seitenstraßen hinein. Die Stimmung war unglaublich aufgeheizt - und Klaus Schütz beteiligte sich mit einer Hetzrede gegen die jungen Studenten mit ihrer berechtigten Kritik an den Kriegsverbrechen in Vietnam.

Gab es in der bundesrepublikanischen Geschichte je ein vergleichbares Ereignis?

1948 hatte es in Berlin schon einmal eine Demonstration gegeben, auf der 300.000 Menschen gegen die Blockade der Sowjets und für die Amerikaner demonstrierten. Und natürlich waren auch beim Schah-Besuch 1967 schon viele Leute auf den Straßen. Aber die Qualität, in so massiver Weise einzig und allein gegen die Ideen der Studierenden zu demonstrieren, das gab es so nie zuvor - und auch nie wieder.

Konnte man sich als Student dort sehen lassen?

Viele Studenten, die sich dorthin gewagt hatten, sind schnell wieder verduftet, als sie merkten, wie die Stimmung war. Die Demonstranten trugen Transparente mit der Aufschrift "Dutschke - Volksfeind Nummer eins!" Die waren aufgebracht und rabiat und begannen an Ort und Stelle mit der Jagd auf junge Menschen. 30 junge Leute wurden an diesem Tag verletzt, 26 mussten von der Polizei in Sicherheit gebracht werden. Die Leute gingen auf alles los, was sie für Studenten oder Rudi Dutschke hielten.

Sie spielen auf einen Vorfall an, der sich während der Demo ereignet hat?

Ja, ein absurder Vorfall, der allerdings einiges aussagt: Ein Mann wurde beinahe erschlagen, weil er eine gewisse Ähnlichkeit mit Rudi Dutschke hatte. Das Absurde daran war, dass er selbst gegen die APO demonstrierte. Plötzlich wurde er von seinen Mitdemonstranten gejagt. Die wollten ihn greifen und schrien Parolen wie "Lyncht ihn!" und "Hängt ihn auf!" Retten konnte er sich nur mit einem Satz in einen Polizeiwagen. Die Beamten mussten die aufgebrachten Bürger davon abhalten, den Wagen aufzubrechen.

In Ihrem Buch schreiben Sie von einem ähnlichen Vorfall, bei dem einige Tage zuvor Dutschke selbst beinahe Opfer einer Attacke geworden wäre.

Das war unmittelbar davor, am Ende des Vietnam-Kongresses. Als Dutschke spät abends von Freunden in einem VW-Käfer nach Hause gebracht wurde, erkannte ihn ein Taxifahrer, der sofort über Funk seine Kollegen zusammenrief. Schnell versammelte sich eine Meute von Taxifahrern, die Dutschke einkesseln und verprügeln wollten. Mit Vollgas im Rückwärtsgang sind die beiden im letzten Moment noch entkommen.

Zwei Monate später wurde Dutschke tatsächlich Opfer eines Attentats, an dessen Folgen er elf Jahre später starb.

Und das hatte natürlich mit dieser Stimmung zu tun. Dutschke war ein Opfer der organisierten Hetze, wie sie sich am 21. Februar in Schöneberg manifestierte.

Welche Bedeutung hat dieser 21. Februar im weiteren Verlauf der Bewegung?

Die Stimmung brodelte natürlich schon vorher. Benno Ohnesorg war 1967 erschossen worden, die Studierenden waren mobilisiert. Die Empörung gegen Dutschke schwappte nach Westdeutschland - und der Hass zog sich bis Bayern. Dort stieg dann zwei Monate später der Hilfsarbeiter Josef Bachmann mit einer Pistole in den Zug, um Dutschke in Berlin aufzulauern - die Folgen kennen wir. Bis 1967 war die Protestbewegung eine Berliner Spezialität gewesen. Dann erst brachte die Hetze der Bild-Zeitung die Revolution ins Land - und daran hatte auch die Demo am 21. Februar ihren Anteil.

Eine Folge war auch, dass die Studierenden sich immer mehr radikalisierten.

An der FU waren die Studierenden auch vorher schon größtenteils aufseiten der APO. Aber einen Solidarisierungseffekt gab es natürlich angesichts dieser Demo umso mehr. Die mächtig zur Schau gestellte Oppositionshaltung gegen die APO machte diese ja noch viel größer, als sie vielleicht war. Und mit dem Contra der bürgerlichen Presse und des Senats folgten die Studierenden dann auch immer mehr dem Marxismus des Sozialistischen Studentenbundes (SDS).

Brachte das den Senat nicht noch mehr unter Druck?

Nein. Für den Regierenden Bürgermeister Schütz war nach der Demo erst mal alles in Ordnung. Er konnte zufrieden in sein Dienstzimmer zurückgehen und sich sicher sein, dass er mal Flagge gegen die APO gezeigt hat. Denn die Demonstration hatte einen wahltaktischen Hintergrund. Die SPD regierte in Berlin, hatte die Verantwortung für die Unis - und die CDU versuchte daraus politisches Kapital zu schöpfen, indem sie Schütz eine Nähe zur APO unterstellte. Der Bürgermeister nutzte die Demo als Befreiungsschlag gegen die ständigen Angriffe der CDU. Indem er die CDU bürgerlich überholte, brachte er die Bürgerinnen und Bürger, die allgemein empört waren, zusammen. Der Effekt der Demo war also auch, dass die SPD-Regierung eine kleine Entlastung gegen die Angriffe aus der CDU bekam - wenn man so will ein innerbourgeoises Manöver.

Sie wollen sagen, dass die Demo rein parteitaktisch motiviert war?

Nicht nur, aber auch. Zumindest lässt sich das für Schütz und sein Gefolge im Senat sagen. Persönlich weiß ich, dass Klaus Schütz seine Rede vor dem Schöneberger Rathaus später bereute. Aber natürlich stimmt, dass damals unwahrscheinlich viel zusammenkam. Der Springer-Konzern mobilisierte ohnehin, die Gewerkschaften schlossen sich an. Bei den einfachen Leuten stieß das auf offene Ohren. Denn für die waren diese seltsamen Studenten ein Mob von Luxusgeschöpfen, die meinten, in einigen Monaten hätten sie die Revolution geschafft. Zumindest hier in Berlin mit einer Räteregierung. Diesen Sturz des Kapitalismus haben die Studierenden auch in der Arbeiterschaft schon vor sich gesehen - und da lagen sie eben völlig daneben. Die APO hatte zwar viele Sympathisanten unter den Intellektuellen, aber zwischen ihnen und den normalen Bürgern blieben die Gräben zu tief.

Wieso? Auf den Transparenten der APO stand doch "Was wir wollen, sind Arbeiterkontrollen"?

Das stand zwar auf den Transparenten. Aber wenn die Studenten damit am 1. Mai durch Moabit zogen, sagte der Arbeiter vor seiner Eckkneipe: "Watt? Arbeiterkontrollen? Von denen lass ick mir doch nich kontrolliern." Da passte es gut, dass der Senat zur Frustrationsbekundung einlud - und dementsprechend kochte am 21. Februar die Volksseele.

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