piwik no script img

Berliner WochenkommentarDer eine Fehler der Besetzer

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Vier Tage lang haben die Besetzer der Volksbühne alles richtig gemacht. Aber dann haben sie verkannt, wie wirkungsvoll ihre Besetzung war.

Ausgeträumt: Am Donnerstag wurde die besetzte Volksbühne geräumt Foto: dpa

V ier Tage lang haben die Besetzer der Volksbühne alles richtig gemacht. Sie sind am Freitag vor acht Tagen so umsichtig wie möglich in das Traditionshaus am Rosa-Luxemburg-Platz eingestiegen, haben es mehr als ein Wochenende lang mit Performances und Partys erfolgreich bespielt. Sie, die sich Künstlerkollektiv „Staub zu Glitter“ nennen, haben ein politisches Ziel artikuliert: Kampf gegen die Verdrängung und gegen den Ausverkauf der Stadt und der Kultur.

Sie haben das Gemeinsame, das Offene in den Vordergrund gestellt, Übernachtungen und Volksküche organisiert. Sie haben sich nicht kirre machen lassen durch arrogante Kommentare biederbürgerlicher Medien. Sie sind überhaupt nett mit allen Leuten, die vorbeikamen, umgegangen. So kann eine Utopie von einer besseren Welt, besseren Stadt oder einfach nur besseren Bude aussehen.

Doch dann, als alles so gut lief, haben die Besetzer einen großen Fehler gemacht. Sie haben verkannt, wie bedeutsam, wie wirkungsvoll ihre Besetzung war. Deswegen ließ Volksbühnen-Intendant Chris Dercon in Abstimmung mit Kultursenator Klaus Lederer (Linke) am Donnerstag das Haus räumen.

Es klingt gegenüber den Besetzern gemein. Aber Dercon, Lederer, der rot-rot-grüne Senat konnten nicht anders, nachdem die Besetzer absurderweise auf das weitreichende Angebot der Volksbühne vom Dienstag, künftig den Grünen Salon nutzen zu dürfen, gar nicht erst eingegangen waren. Denn Rot-Rot-Grün und der Volksbühnen-Chef stehen mit dem Rücken zur Wand.

Dercon muss endlich – nachdem ihn die etablierte Kulturpresse zwei Jahre lang fertiggemacht hat – zeigen, dass er aus dem Haus etwas machen, dass er es als Theater nutzen kann. Für den Auftakt Anfang November muss in der Volksbühne geprobt werden können; mit Besetzern im Nacken, so lieb sie auch sein mögen, fühlt sich das unfrei an.

Der Senat ist nach der Niederlage beim Volksentscheid Tegel am Sonntag massiv politisch unter Druck, im Fall der Volksbühne vor allem Klaus Lederer. Er mag zwar Dercon nicht, muss ihn aber qua Amt schützen. Und er mag zwar die konservative Opposition aus CDU, FDP und AfD nicht. Aber sich von ihr vorführen zu lassen als jemand, der nicht handelt – das wollte der Linksparteipolitiker nicht riskieren.

So fanden die Besetzer am Ende in Rot-Rot-Grün nicht die Beschützer, die sie sich erhofft hatten. Ihre Utopie stand gegen die politische Realität in dieser Stadt. Das ist schade, für beide Seiten. Und es wird eine Weile dauern, bis diese Wunden verheilt sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Da die eigene Identität wohl wieder wichtiger als der politische Erfolg.

  • Der größte Fehler, der zum Scheitern geführt hat: "Das Kollektiv" hat das Geschehen kontrolliert und jegliche Diskussion über die Inhalte unterbunden. Deswegen hatte es im Plenum auch kaum noch Rückendeckung als es zum Schluss versuchte, mit den Mitarbeiter_innen und den Vertreter_innen des Senats die Forderungen einiger weniger karrierehungriger Aktivist_innen durchzusetzen.

    Glitzer zu Staub! https://glitzerzustaub.wordpress.com/

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Rasipan:

      Zu denken, in einem begrenzten Raum (ob nun das ganze Theater oder nur ein paar Räume ist egal) etwas entstehen könnte, das für "alle" da ist, ist aber auch naiv. Es ist auch einfach eine Frage der Pfadabhängigkeit politischer Prozesse, die dafür sorgt, dass Vielfalt verschiedenen Saaten (Seeds) braucht als Ausgangs- und Kondensationspunkte kultureller und politischer Diversität.

       

      Langfristig gesehen steht und fällt so etwas wie ein offener Konzertbetrieb mit den Leuten, die bereit sind, auch langfristig Arbeit in so etwas zu stecken. Nach der anfänglichen Euphorie kehrt relativ schnell der Konsumismus ein und einige wenige stehen alleine da (DIY yippie yeah, mach's doch alleine, ich helf nicht mit).

       

      Selbstverständlich ist der Grad der Offenheit eines solchen Projektes immer begrenzt, an der Kapazität von Räumen und Menschen und an einer Art Selbstveständnis über die gesellschaftliche und ästhetische Positionierung.

      Bei aller berechtigter Kritik an sich herausbildenden Hierarchien sollte klar sein, dass Vielfalt immer intrinsisch begrenzt bleibt durch die Beschränktheit der Kapazität. Leider stand hier am Ende des Prozesses noch nicht einmal das Sichern der Erreichten Möglichkeiten und Kapazitäten in Form der angebotenen Räumlichkeiten. Echt schwach. Darüber wer das (nicht) "das Sagen" hat, hätte man sich danach auch noch streiten können.

       

      Aus einer Position eines "reinen" Aktionismus heraus lassen sich immer irgendwelche Grenzen feststellen. Das geht dann aber gegen alles, also auch gegen jede wirkliche (wirkende) Vielfalt.

      Wenn radikal sein alleine nicht reicht, bekommen manche Linke etwas Identitäres (Prädikat: "besonders radikal").