Berliner Tatort: Künstler unter Panzerglas
Der Künstler liegt erschlagen in seiner Kunstmanufaktur. Während Tatort-Kommissar Stark ermittelt, muss Kollege Ritter sich um den Nachlass seines Onkels kümmern.
Atelier wäre der falsche Ausdruck für seine Arbeitsräume, Kunstfabrik trifft es eher. Hanns Helge (Max von Thun) unterhält in Berlin-Mitte ein mehrstöckiges Gebäude samt Herstellungshalle mit Kran, die von einem in solchen Kreisen üblichen Anhang bevölkert wird: Galeristinnen, Musen, Brötchenholern.
Den Hofstaat zu finanzieren, stellt für Helge kein Problem dar. Schließlich ist er, so seine gängige Etikettierung bei jenen, die sich mehr für sein Geld als für seine raumschluckenden Ausstellungsstücke interessieren, „der teuerste Künstler unter 40“.
Der Marktwert könnte jetzt noch einmal steigen. Denn eines Morgens liegt Helge tot in seiner Kunstmanufaktur, erschlagen von einem Panzerglasquader, der von dem Kran auf ihn nieder gerast ist.
Auch in seinen aktuellen Arbeiten beschäftigte er sich mit dem Thema Tod; das Sterben hielt er angeblich, wie einer seiner Jünger ehrfürchtig berichtet, für die ultimative Grenzerfahrung. Dass Helge aus experimentellen Gründen Suizid begangen hat, ist trotzdem auszuschließen: Er hätte den Kran kaum aus der Position bedienen können, in der er verstorben ist.
Die Macherinnen dieser Episode, Regisseurin Christine Hartmann (drehte einst mit „Todesbrücke“ die beste Berliner „Tatort“-Episode überhaupt) und Autorin Beate Langmaack (schrieb die grandiosen Schweriner „Polizeirufe“ mit Henry Hübchen), sind schlau genug, keine plumpe Kunstbetriebskritik betreiben zu wollen.
Zwar konnten die beiden es nicht lassen, hier mal mit Damien Hirst zu winken und dort mal auf Jonathan Meese anzuspielen, doch kunstfeindliche Klischees halten im Gegensatz zu thematisch ähnlichen „Tatorten“ in Grenzen. Statt sich über die exzentrischen Macken der Kreativen zu echauffieren, spüren sie lieber den sozialen Dynamiken innerhalb der entsprechenden Lebenswelt nach.
Während sich Ermittler Stark (Boris Aljinovic) über die Galeristin Oona von Wilm (Karoline Eichhorn mit blondem Berliner Kunstmiezen-Afro) ins befremdliche und vor allem befremdlich reiche Metier einführen lässt, muss Ritter (Dominic Raacke) die Wohnung seines verstorbenen Onkels abwickeln.
Der hatte sich in seiner Garage mit Autoabgasen vergiftet, nachdem er unter immer größerer Einsamkeit gelitten hatte. An der Wand hängen nur noch die Bilder seines Hundes, der nun auch schon drei Jahre tot ist. In der Kneipe „Alt-Berlin“ kam er schon lange nicht mehr zur Skat-Runde.
Klug wird der Kunstbetrieb und muffiger Kleinbürgerwelt in Kontrast gesetzt. Doch so unterschiedlich die Milieus sind, der Tod ist eine egalitäre Angelegenheit: Ob unter einem Panzerglasquader oder mit Abgasschlauch am Mund: Jeder stirbt für sich allein, diese Grenzerfahrung lässt sich nicht teilen.
Berliner "Tatort": "Die Unmöglichkeit, sich den Tod vorzustellen", So. 26.9.2010, ARD, 20.15 Uhr
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