Berliner Tagebuch: ... zum Halse raus!
■ Berlin vor der Befreiung: 10. April 1945
Foto: J. Chaldej/Voller Ernst
14.30 Vollalarm. Großangriff von 1.300 Flugzeugen auf die nördlichen Randgebiete von Berlin. Mit unserem Mechaniker Max P. bin ich zum Luftschutzraum des Pergamon-Museums gegangen. Ein feiner Keller. 16.00 Entwarnung. 16.15 habe ich mir einen Kloben Holz in Papier eingeschlagen und mich nach Hause getrollt. Auf der U-Bahn ein toller Andrang. Die Verkehrskartenverordnung sollte morgen in Kraft treten, ist aber bis zum 19. d. M. verschoben worden. Aber wer weiß, was dann ist. – Nach dem Abendbrot um 18.00 zum Volkssturm. Ganze vier Männeken sind angetreten. Der Feldwebel kam, guckte und schickte uns dann wieder nach Hause. War von Herzen froh, denn mir hängt der ganze Zauber zum Halse raus. Zum Soldatspielen habe ich ebensoviel Lust wie ein toter Hund zum Scheißen. Meine Ruhe will ich haben! Damit basta! – Auf dem Heimweg gab es schon wieder Kleinalarm. Nach der Entwarnung mit Lydia einen Rundgang zu unserem Apotheker gemacht, um für I. Nasentropfen zu besorgen. Überall vergebens. – Als wir zurückkamen, war Herr A. da. Wir haben uns über seine Radtour nach Preros unterhalten. – Von 21.50 bis 0.15 Alarm. Dauerangriff schneller Kampfflugzeuge auf Berlin. Es hat mehrmals tüchtig gekracht. Nach der Entwarnung Bodenkontrolle. Helmuts Braut E. brachte mir ein Päckchen gepreßten Bohnenkaffee. Gepriesen seist Du, hochherzige Jungfrau! – Lydia hat mir gleich eine Tasse aufgebrüht. Ach, welch herrliches, belebendes Getränk. Ich danke Dir, Du liebes, gutes Menschenkind, und meinem Schöpfer, daß er Dich mir in den Weg geführt hat. Wenn ich irgendwie kann, werde ich Dir auch eine Freude bereiten. Mögest Du immer gesund und glücklich sein. Hugo B.
Hugo B. (1896–?), Uniformschneider aus Neukölln, zitiert nach: I. Hammer/S. zur Nieden (Hrsg.): „Sehr selten habe ich geweint“. Zürich 1992
Recherche: Jürgen Karwelat
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen