Berliner Tacheles vor Räumung: Kampfbereite Künstler

Das Kunsthaus Tacheles ist nach der Wende über Berlin hinaus bekannt geworden. Jetzt soll ein Hungerstreik die von der HSH Nordbank angestrebte Räumung stoppen.

Ende Juli ging's beim Protest gegen die Räumung noch bunt her - jetzt ist aber Schluss mit lustig. Bild: dpa

BERLIN taz | Eine junge Frau steht vor einem Supermarkt, auf dem Schild in ihrer Hand steht: "Heute kauf ich nicht! Konsumstreik für Tacheles". Im Internet kursieren derzeit Fotos, auf denen Menschen vor Läden, Imbissketten und Banken ihre Solidarität mit dem Berliner Künstlerhaus bekunden. Dem prominenten Kulturprojekt, das in keinem Touristenführer fehlt, droht die Räumung. Nach dem Willen der Künstler soll auf den virtuellen Konsumstreik bald ein echter Hungerstreik folgen. "Falls die Verantwortlichen wirklich Berliner Künstler hungern sehen wollen, sind wir bereit", sagt Tacheles-Pressesprecherin Linda Cerna.

Für die rund 30 Künstler, die seit der Wende in einer Kaufhausruine an der Friedrichstraße in Berlin-Mitte Ateliers, ein Kino und ein Theater betreiben, steht der Verantwortliche fest: Die HSH Nordbank, seit 2007 Zwangsverwalterin des riesigen Areals, an dem sich der ehemalige Eigentümer verhoben hat. Die Bank weigerte sich, den Zehnjahresvertrag des Kunsthauses, der 2009 auslief, zu verlängern. Sie will das 24.000 Quadratmeter große Grundstück in Premiumlage meistbietend verkaufen. Und die Künstler, die in der kleinen Ruine sitzen, loswerden. Um jeden Preis: Die HSH Nordbank klagte auf 180.000 Euro nachträglich zu zahlende "Nutzungsentschädigung" für das Gebäude. Sobald ein Termin für die Zwangsversteigerung feststeht, soll geräumt werden.

Die Künstler, die das Haus nach der Wende durch Besetzung vor dem Abriss retteten und zu einem Wahrzeichen der Subkultur entwickelten, wollen bleiben, um jeden Preis. Als die Geldforderung kam, beantragte der Tacheles-Verein Insolvenz. Als die Räumungsklage kam, sammelten sie Unterschriften und zogen vor das Bankgebäude. Sie wurden bei den Bürgermeistern von Berlin und Hamburg vorstellig und schrieben beide Bundespräsidenten an, den alten und den neuen. Vom neuen bekamen sie sogar eine Antwort: Christian Wulff sei "an einer reichen Kulturlandschaft gelegen". Leider könne er sich aber in privatrechtliche Auseinandersetzungen nicht einmischen. Die vage Freundlichkeit war für die verzweifelten Künstler genug, um sofort zurückzuschreiben. Sie greifen nach jedem Strohhalm, sogar über die rhetorische Unterstützung der oppositionellen Hauptstadt-CDU freuen sie sich. Und argumentieren selbst mit ihrem Status als "wirtschaftlicher Eckpfeiler" des Bezirks.

Tatsächlich ist das Tacheles-Haus mit seinem vollgekritzelten Treppenhaus und den Schrottskulpturen im Garten längst ein Ort des Kommerzes. Durch das Café Zapata und die angrenzende Bar schieben sich Touristenmassen, in den Ateliers werden Berlin-Souvenirs feilgeboten. Die Subkultur, die in der Nachwendezeit hier wilde Skulpturen schweißte und Techno-Partys feierte, ist längst weitergezogen. Die ehemaligen Besetzer sind inzwischen so zerstritten, dass sie sich gegenseitig verklagen. Dass das Tacheles nun trotzdem noch Solidarität erfährt, liegt daran, dass es der letzte Farbtupfer in der sauber geleckten Stadtmitte ist. Zwischen dem Touristen-Ballermann an der Oranienburger Straße und der Geschäftsmeile an der Friedrichstraße mussten besetzte Häuser und Clubs schicken Läden und Galerien weichen. Nur das Tacheles mit seinem ausgeweideten Treppenhaus verbreitet noch den improvisierten Charme der Nachwendejahre.

Anfang: Im Jahr 1909 eröffnete die noble "Friedrichstadtpassage" mit moderner fünfstöckiger Stahlbetonkonstruktion. Das Kaufhaus ging pleite und wurde 1914 zwangsversteigert. Ab 1928 nutzte die AEG das Haus, dann die SS. Im Krieg wurde das Gebäude teilweise beschädigt. In den Achtzigern begann man, das Haus abzureißen, weil eine Straße quer über das Gelände geplant war.

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Wende: Künstler besetzten 1990 das Gebäude und erreichten, dass das "Tacheles" unter Denkmalschutz gestellt wurde. Im Jahr 1998 einigten sich die Künstler mit der Eigentümerin, der Kölner Fundus-Gruppe, auf einen 10-Jahres-Mietvertrag mit symbolischen 50 Cent Monatsmiete. Für Touristen wurde die bemalte Ruine an der Oranienburger Straße zum Berlin-Mekka. Der mit Schrottskulpturen dekorierte Garten, das Kino und die Konzerte im Café Zapata haben das Nachwendeflair bewahrt.

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Drohendes Ende: Rund 10 Millionen Touristen haben das Tacheles seit dem Bestehen besucht. Doch seit Anfang 2009 sind die Künstler dort wieder Illegale. Das Grundstück soll nach der Fundus-Insolvenz zwangsversteigert werden. Die HSH Nordbank hat wiederholt die Räumung angekündigt.

Dass eine Bank nun das Gelände leerfegen und meistbietend auf den Immobilienmarkt werfen will, damit es ein Investor mit gesichtsloser Edelarchitektur zumüllt, stößt bei vielen auf Widerstand. Zumal noch nicht einmal ein Investor in Sicht ist. Eine Luxusbebauung für 400 bis 600 Millionen Euro, wie sie der ehemalige Eigentümer genehmigt bekam, ist unwahrscheinlich, trotzdem hält die Bank an ihrem Konzept fest, die 16 Teilgrundstücke meistbietend zu versteigern - das Kunsthaus inklusive.

Ein Versteigerungstermin steht freilich noch nicht fest. So lange hoffen die Künstler noch. Zumindest die Solidarität der Berliner Wasserbetriebe haben sie. Die entschlossen sich, den Illegalisierten weiter Wasser zu liefern. Von der linken Szene aber dürfen die Räumungsbedrohten keine Unterstützung erwarten. Eine Initiative namens "Schwarzer Phönix" erklärte, dass man die aktuellen Nutzer ruhig rauswerfen solle - um das Haus danach neu zu besetzen.

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