Berliner Szenen: Beim Arzt gewesen
Krankengeschichte
Mein Hintern ist ein Autofriedhof mit kaputten Schläuchen und Sitzpolstern, es pulsiert oder wabert vom Bauch her (ist das die Blase?) und brennt da und dort moderat. Die Prostata sei viel zu groß, hat der Arzt gesagt, der die Rolling Stones so toll findet. Als Orientierungslegastheniker kenne ich mich in meinem Unterleib nicht so gut aus. Dem ersten Arzt vor zwei Jahren hatte ich irgendwann geantwortet: „Was fragen Sie mich. Sie sind der Fachmann“ – und während ich das schreibe, fällt mir auf, dass ich die gleichen Worte benutze, die ich schon mal vor ein oder zwei Jahren verwendet habe, um meine Leiden zu beschreiben. Was doch darauf hindeuten würde, dass sich eventuell die Zeit rückwärts bewegt und man nur stoisch warten muss und weiter die Tabletten nehmen, die ja auch noch ein paar Wochen reichen.
B. sagte, sie hätte das Gefühl, die Ärzte würden auf sie herabsehen als verrückte Künstlerin, weil sie arm sei und so weiter. Sie redet, als wäre sie völlig prekär, was nicht ganz stimmt.
Ich verstehe sie gut, habe aber bei mir zusätzlich noch den Eindruck, ein schlechter Patient zu sein. Ein guter Patient hätte das alles in drei Wochen hingekriegt, wofür ich mittlerweile schon mehr als zwei Jahre brauche.
B.s Wohnung ist aufgeräumt, wegen der kommenden Untermieter, einem schwulen Künstlerpärchen, das sich die Wohnung angeguckt hatte. Wir trinken Weinschorle und rauchen. Sie erzählt noch einmal fast die gleichen Sachen, die sie auch das letzte Mal erzählt hatte. Als ich beginne, ihr von meinem Termin bei dem raucherfeindlichen Urologen zu erzählen, eine Geschichte, die ich zwar fürchterlich, aber irgendwie auch sehr komisch finde, wird sie ungeduldig und ich beeile mich, die Geschichte kürzer als geplant zu Ende zu erzählen. Und später überlege ich, ob ich ihr die Geschichte nicht vielleicht schon einmal erzählt hatte. Oder in Gesprächen eigentlich nur noch Texte aufführe.
Detlef Kuhlbrodt
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