Berliner Szenen: Das Flirt-Problem
Wie jetzt?
Ich sitz in der Bahn und guck so rum. Wie üblich gucken die meisten anderen auf ihr Smartphone und nirgendwo sonst hin. Nur einen Blick fange ich auf von einem mit rotem Shirt. Er lächelt mich an. Ich lächle zurück, schau dann weiter durch die Bahn, dann aber doch wieder zu ihm. Er lächelt noch mal, lässt mich nicht aus den Augen. Er flirtet mit mir, glaube ich.
Das ist ein Problem. Nicht flirten an sich, sondern die Frage, als was er denn da mit mir flirtet. Ich denk, er ist schwul und sieht mich als Mann, aber so ganz sicher bin ich mir nicht. Weil so ist das nun mal: Manchmal werd ich im Laden nach meinem Ausweis gefragt („Junger Mann! Sie sind doch noch keine achtzehn!“); manchmal krieg ich, mitunter nur drei Minuten nach der Frage nach meinem Ausweis, ein „die Dame“ zu hören („Macht zehn Euro, die Dame“). Und deshalb ist das mit dem Flirten so ein Ding. Ist er nun schwul und ich mit ihm mit? Das fänd ich okay, weil sonst bin ich meist Lesbe; es bliebe in der Familie, sozusagen. Aber wenn er mich als Frau sieht, wär ich jetzt heterosexuell, und das will ich irgendwie so ganz und gar nicht sein. Dafür hab ich nicht jahrelang Regenbogenfahnen geschwenkt.
Ich seufze, schau aus dem Fenster, seh meine Station. Fast hätte ich sie verpasst. Ich renn raus. Der Flirter folgt mir, folgt mir auch den Bahnsteig entlang, raus auf die Straße. Och nee, denk ich, weil für eine Frau wär das doof, wenn ein Mann ihr so hinterhersteigt. Aber für einen Mann? Super!, denk ich und bleib stehen, warte auf ihn.
„Hallo“, sage ich, und „Hallo“, sagt auch er, und dann laufen wir weiter, zusammen, nebeneinander, und noch immer weiß ich nicht, als was denn nun eigentlich: als schwul oder hetero. Aber das kriege ich schon noch raus, denke ich und lächele ihn volle Breitseite an.
Joey Juschka
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen