Berliner Szenen: Wie neu
Szenen einer Ehe
Ich begleite eine Bekannte, die als fliegende Friseurin arbeitet, zu einem Kundentermin. Die Ehefrau des Kunden erwartet meine Bekannte bereits im Wohnzimmer und bittet sie, auf der Sofaecke Platz zu nehmen. Auf dem Couchtisch stehen Sektgläser, Kaffeetassen und Kuchen bereit. Die Wände und der Teppich sind fliederfarben, in den weißen Regalen stehen Familienfotos, auf einem Flachbildfernseher läuft eine Hochzeitssendung. Die Ehefrau, die meinem Blick gefolgt ist, sagt: „Ich kann das alles nicht mehr sehen. Hier ist über 25 Jahre nichts verändert worden.“ Ich lächle: „Ist doch in Ordnung, solange es noch gut aussieht.“ Sie guckt finster: „Das sieht nur so aus, weil ich den ganzen Tag schrubbe.“
Ihr Mann kommt im Unterhemd mit bereits nassen Haaren ins Wohnzimmer, begrüßt die Friseurin und sagt beschwichtigend: „Ich mach doch nächste Woche neue Böden.“ Seine Frau zischt: „Seit Jahren liege ich ihm mit einem neuen Teppich in den Ohren. Jetzt hat der Hausmeister was gesagt und er macht’s.“ Die Friseurin lächelt und erklärt: „Die beiden sind seit 50 Jahren verheiratet.“ Die Ehefrau nickt. „Mit 15 zusammengekommen.“ Sie deutet auf ein Foto von dem Paar als 15-Jährigen und sagt grinsend zu ihrem Mann: „Als du noch Haare hattest und ich dich auch mal in was Flotterem als deinem Unterhemd zu sehen bekommen habe.“
Der Ehemann lacht und sagt zu der Friseurin: „Bitte wieder flott machen für die Frau.“ Sie bittet ihn auf einen Stuhl neben der Couch und drapiert Folie auf dem Boden um ihn herum. Zweieinhalb Stunden später, nach schneiden, färben und föhnen, zwirbelt sie seinen Oberlippenbart. Die Ehefrau ist sichtlich zufrieden: „Wie neu.“ Der Mann lächelt, gibt ihr einen Kuss und sagt: „Na komm, hol deinen Mantel! Lass uns zur Feier des Tages mal wieder rausgehen. Ich lad dich auch ein.“
Eva-Lena Lörzer
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