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Berliner SzenenIn der MarkThalle Neun

Wir essen Focaccia

Sprach die junge Mutter im Pluralis Majestatis?

Am Montag schlenderte ich schwitzend und leicht hungrig durch Kreuzberg. Selbst im Schatten war es zu heiß und auf Eis hatte ich keine Lust. Also betrat ich die Markthalle Neun. Drinnen war es kühler und ruhiger und dunkler als draußen. Zuerst kam mir Django entgegen. Django, so nennt er sich zumindest, ist sozusagen ein Urgestein der Markthalle. Und dieses Urgestein, um die achtzig müsste er sein, trägt ganzjährig eine goldene Pornobrille und gibt türkisch klingende Melodien in Dauerschleife zum Besten. Wenn er singt, schlängelt er bei den hohen Tönen seinen Kopf hin und her. Dabei grinst er und sagt dann so was wie „gülle, gülle“. Während ich in kurzen Klamotten fast einging, schien er selbst in Anzug und Hut nicht zu schwitzen. Komisch.

Außer mir und Django gab es in der Markthalle noch viele junge Mütter mit Kind. Einige wollten genau bei dem Stand etwas kaufen, den auch ich anvisiert hatte. Ich reihte mich hinter sie. Dann war eine von ihnen an der Reihe. Sie sagte: „WIR hätten gerne ein Tomaten-Focaccia mit ganz viel Tomate, aber nicht so dunkel und ohne Rand und warm, aber nur lauwarm, und am besten in acht Stücke geschnitten, damit WIR es auch besser essen können.“ Ich muss wohl genauso irritiert geschaut haben wie die Verkäuferin. Zögerlich zog sie ein Stück Focaccia mit ganz viel Tomate hervor und schob es in den kleinen Ofen. Hatte die junge Mutter eine zwie­gespaltene Persönlichkeit, sprach sie im Pluralis Majestatis oder meinte sie mit dem WIR tat­sächlich sich und ihr circa zweijähriges Kind? Als die Verkäuferin ihr den Pappteller mit den acht Stücken Focaccia reichte, gab sie ihn an ihr Kind weiter, das wiederum die Stücke auf den Boden fallen ließ. „Oh nein, jetzt müssen WIR die Stücke aufsammeln!“ Dann bückte sie sich, während das Kind seelenruhig im Wagen blieb.

Eva Müller-Foell

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