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Berliner SzenenMänner

Zu viel jetütert

Als der gestorben sei, habe sie sich Hermann genommen

Sie läuft auf Krücken und trägt einen grellen orangenen Schal. Auf der Hertha-BSC-Schirmmütze steckt eine Ray-Ban-Sonnenbrille. In der Hand hält sie einen Jutebeutel, auf dem ein gebrochenes Herz abgebildet ist. Es ist Sonntag in Lankwitz, und das bedeutet, dass in Lankwitz nicht viel los ist. Wir stehen nebeneinander an der Bushaltestelle und beobachten eine Weile ein paar Jungs auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Irgendwann beginnt die Frau zu erzählen.

„Na?“, sagt die Frau.

„Na?“, sage ich.

Ihre Gesichtshaut sieht aus wie eine Kneipentapete.

„Hab ick mir dit Bein jebrochen!“

Sie zeigt auf die Krücken.

„Im Nilpferd, weeßte?“

„Nee“, sage ich.

„Nilpferd,’ne Kneipe. Ick sitz am Tresen,’ne alte Frau wie icke sollte ooch nich mehr am Tresen sitzen, weeß ick, aba man lebt ja nur einmal!“

„Ja“, sage ich.

„Da hab ick zu viel jetütert, bin ick halt vom Schemel jefalln und dann Krankenhaus und so, zwei Monate, Mann, da saß ick erst ma uff’n Trockenen, war ja ooch jut. Dit jeht ja nich so weita!“

„Und jetzt?“, frage ich.

„Hermann besucht!“

„Wer ist Hermann?“

Hermann, so erzählt sie, sei der Hausmeister des Hauses, in dem ihr letzter Lebensgefährte gewohnt habe, und als der gestorben sei, haben sie zusammen die Wohnung ausgeräumt und dann habe sie sich eben den Hermann genommen.

„Nich eenmal!“, ihre Stimme schrammt ab, sie zieht die Nase hoch, „nich eenmal hat der mich im Krankenhaus besucht!“

Wir sehen einander an, sie zieht die Nase kraus und zieht wieder hoch. Ich berühre sie an der Schulter.

„Lass ma, kannste ja nüscht für!“, sagt sie. „Aba du bist ooch ’n Mann, ihr könnt dit irgendwie nich!“ Björn Kuhligk

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