Berliner Szenen: Nach dem Ostseetrip
Zurück in Berlin
Will man ans Meer, dann hat Berlin die nahe Ostsee. Kurzerhand sind wir über das Wochenende dorthin gefahren. Es war herrlich! Die Sonne schien, es war windig, das Meer aufgewühlt. Als wir zu dem einzigen Supermarkt des kleinen Orts gingen, erinnerten uns die Gärten der Einfamilienhäuser daran, dass die DDR noch nicht lange her ist. Flächen, angelegt und gepflegt von Ahnungslosen. Wer auf weitflächigen Grundstücken schmale, kümmerliche Pflanzen zentriert verwurzelt und den Rand mit vermauerten Steinen begrenzt, der muss doch so was in seinem Kopf haben. Wie deutsch, welch Elend!
Der Regionalexpress kam Berlin näher und näher. In Springpfuhl vergammelten rechts der Gleise Industrieareale, links standen, wie der Dramatiker Heiner Müller sagte, Fickzellen mit Fernheizung, und ein jeder Balkon war andersfarbig gestrichen. Einen Steinwurf entfernt eine Herde Discounter in der Abendsonne. Kurz vor dem Bahnhof Lichtenberg stand blühender Flieder, als wolle sich das Wilde uns noch einmal zeigen, bevor wir die betonierte Stadtfläche betreten. Am Hauptbahnhof stiegen wir um. In der U7 war dann alles wie gewohnt: Ein Skinhead mit der Statur eines Trockners torkelte in den Waggon und hatte große Mühe, nicht der Länge nach hinzuschlagen. Ein junger Mann, dessen Oberschenkel einen Weitwinkel bildeten, saß uns gegenüber und ließ seinen verachtungsvollen Blick auf uns ruhen. Eine Frau, die sich kleidete, als hätte die von ihr so heiß verehrte Weltmusik in ihrer Kleidung eine Fortsetzung mit anderen Mitteln gefunden, stand auf einem Bein und brummte vor sich hin. Alles so, wie wir es vor zwei Tagen verlassen hatten. Aus dem U-Bahn-TV schaut der Papst zu uns rüber. Ein Gesicht zwischen Infantilität und Schneeeule. Ich dachte: So sieht also einer aus, der die Menschheit liebt.
Björn Kuhligk
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