piwik no script img

Berliner SzenenTeneriffa

Gilt ooch fürs Leben

Solange die noch singen, ist die Oper nich vorbei

Der Taxifahrer prügelt den Wagen über das Katzenkopfpflaster der kleinen Straße. Er lenkt den Wagen mit einer Wucht, als hätte er eine zur Wut gewordene Enttäuschung in seinem rechten Fuß, als hätte er noch eine Rechnung offen mit der Stadt, der Straße, mit sich selbst.

Es ist mir recht. Ich will schnell nach Hause. „Könnten Sie bitte“, frage ich, „hier hinten etwas Licht machen?“ „Is jut“, sagt er und schaltet es an, und da nun ich etwas sagte und dann er, und er das als Gesprächseröffnung verstand, sagt er: „Ick kann ein bisschen Küchen-Türkisch, Hallo, Tschüs, Danke und Döner“. „Das ist gut“, sage ich. Links der Alexanderplatz, die Spitze des Fernsehturms steckt im Nebel. Die Straßen sind fast leer, der Fahrer drückt das Pedal. Ich versuche zu entziffern, was ich im Halbdunkel während des Konzerts in mein Notizbuch geschrieben habe. Ich kann es nicht lesen. Es war irgendein Gleichnis von Bergspitzen und gefrorenem Wasser. Was mir eben so einfällt, wenn ich von Jazz zerlegte Weltmusik höre. „Wissen Se, wat alte Leute machen? Die jehn raus und quatschen andere voll, damit se nich so al­leene sind. Ick bin zwar noch nich alt, aba bald. Dann hab ick drei Enkel und ooch schon einen Urenkel, dit lass ick mir nich nehmen!“ „Wissen Ihre Kinder davon?“, frage ich. Er lacht und ruft: „Nee!“ Er zeigt auf das vor uns an der Ampel wartende Auto mit dem Kennzeichen TF. „Kiek ma, Teneriffa!“ Ich habe den Spruch schon sieben Mal zu oft gehört und sage wieder nur „Ja“. Er dreht sich zu mir um: „Wo warn Se denn? Wenn ick fragen darf!“ „In einem Konzert.“ Er nickt anerkennend. „Dit is jut! Ick war mit meener Freundin neulich inner Oper, Mann, Mann, dit is nich meene Sache. Stundenlang! Aba ick hab wat jelernt. Solange die noch singen, ist die Oper nich vorbei, dit gilt ooch fürs Leben, so einfach is dit!“ „Ja“, sage ich. Björn Kuhligk

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen