Berliner Szenen: Eau de bus
Der Schnuppertest
Früh lernt man, dass die richtige Platzwahl entscheidend ist. Schon im Kindergarten hielt man im Stuhlkreis für das beliebteste Kind den Platz frei. Ruhm und Ehre waren der Person gewiss, neben der es sich niederließ. Auch in der Schule galt: nicht zu weit vorn, nicht zu weit hinten, in Mathearbeiten gern neben dem Klassennerd. Aber auch in anderen Alltagsdingen ist die richtige Platzwahl wichtig. Im Bus zum Beispiel.
Dort, wo sich alle denkbaren Gerüche vereinen, zur großen Geruchsparty formieren und im schlimmsten Fall eine wabernde Wolke bilden, die den Atem flach werden lässt. Windelodeur trifft auf ungewaschene Haut und müffelndes Haar, morgendlicher Mundgeruch auf kalten Zigarettenrauch, Angstschweiß auf „Den Pulli habe ich doch erst vor drei Wochen gewaschen.“ Dazwischen alle möglichen Parfüm- und Deonoten.
Genau auf die kommt es an. Nach jahrelanger Praxis habe ich ein Auge – und ein Näschen – dafür entwickelt, welche Personen als potenzielle Nebensitzer infrage kommen. Den Schnuppertest bestehen interessanterweise oft Leute, deren genervte Blicke jegliche Konversation ausschließen. Bin ich sonst ein wenig belustigt von Frauen, die morgens in Parfüm zu baden scheinen – im Bus bin ich ihr größter Fan. Wie schön ist es, wenn sie beim Vorbeigehen diesen süßlichen Kaufhausgeruch für einen Moment in der Luft verharren lassen. Dafür gibt’s ein Guten-Morgen-Lächeln von mir. Ja, ich lobe sogar hin und wieder Sitznachbarn für ihren Duft. Ernte ich dafür zunächst irritierte Blicke, freuen sich die Menschen meist kurz darauf. War da nicht auch was mit positiver Verstärkung? Mehr wohlriechende Menschen braucht der Bus. In diesem Sinne noch mal herzlichen Dank an den jungen Mann im Anzug mit der frischen Sportduschgelnote heute Morgen! Das Schnuppern war eine Freude. Linda Gerner
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