Berliner Szenen: DDR-Flashback
Fleischlose Theke
Ich wollte an einem Donnerstagmittag im Kaiser’s Supermarkt an der Warschauer Brücke einkaufen gehen. Unter anderem wollte ich Kalbsleber besorgen, die es bei dem Fleischer wenige Meter entfernt so gut wie nie gibt. Um diese Zeit sind im Supermarkt normalerweise keine langen Schlangen an den Kassen zu erwarten. Doch was ich an diesem Tag vorfand, haute mich aus den Latschen. Der Supermarkt war wie leer gefegt. Wie ausgeraubt. Die riesigen Kühlschränke, in denen sonst irrsinnig viele Joghurtsorten, Quark, Butter, Sahne und Milch zur Auswahl stehen, waren komplett leer. Ratlos stand ich vor der gähnenden Leere.
Irritiert schob ich meinen Wagen zur Fleischtheke, vorbei an ebenfalls leeren Käseregalen. In den vergangenen 25 Jahren hatte ich mich daran gewöhnt, dass es im wiedervereinigten Deutschland rund um die Uhr immer alles zu kaufen gibt. Ich verstand die Welt nicht mehr. Die Fleischtheke, an der sonst auf mehreren Metern Länge Schwein, Rind und Hähnchen verkauft werden, war mit einer Stellwand verhüllt. Waren die Lkws mit dem Nachschub im Stau stecken geblieben? Wurden die Lieferanten nicht bezahlt? Reichten die Waren nicht für die langen Öffnungszeiten bis spät in die Nacht? Kam der Kapitalismus an seine Grenzen?
Vorsichtig schaute ich durch einen Spalt in der Stellwand auf die Fleischtheke. Zwei Verkäuferinnen waren dabei, Frischfleisch einzuräumen. „Wie lange wird das noch dauern?“, fragte ich. „Eine Stunde etwa“, antwortete eine der Frauen gelangweilt. Erst war ich empört.
Dann fand es beruhigend, dass nicht immer alles verfügbar war. Am nächsten Tag ging ich wieder in den Supermarkt. Alles war wie immer. Und es gab auch wieder Kalbsleber. Als ich sie am Abend mit Zwiebeln und Äpfeln briet, duftete es nach Bückware. Barbara Bollwahn
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