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Berliner SzenenDie Flasche

Muss geklärt werden

„Wer soll dennschuld sein? Ich?“, fragt der Kassierer

„Oh, nein! Das gibt’s doch nicht!“, sagt die Frau, die vor mir an der Kasse steht. Sie streckt die Hand weg, die Finger voller Bier, aus ihrer Tasche kommt ein gelber Fluss, der Richtung Scanner fließt. Eine ihrer drei Flaschen Hefeweizen ist kaputt. „Die Flasche ist explodiert!“, sagt sie. Sie nimmt langsam die durchnässten, klebrigen Packungen gefrorener Spaghetti mit Scampi und Mozzarella Sticks aus der Tasche. „Das ist doch nicht wahr!“, sagt sie.

Der junge Kassierer schickt alle außer mir zu einer anderen Kasse. Er nimmt eine Papierrolle und gibt der Frau mehrere Blätter. Sie wickelt die Scherben ein und versucht ihre Sachen zu trocknen. „Das muss geklärt werden“, sagt sie. „Was muss geklärt werden?“, fragt der Kassierer. „Ich bin doch nicht schuld!“, erwidert sie lauter. „Wer soll denn schuld sein? Ich?“, fragt er und dreht sich zu seinem Kollegen an der Kasse nebenan. Dieser lacht, den Mund voller Zahnspangen. „Du bist schuld, ja!“, sagt er. Ich mische mich ein und frage den Kassierer, ob er nicht einen Lappen hätte, um es schneller zu erledigen. Nicht weil ich Eile habe, sondern weil die Frau immer verzweifelter aussieht, die Warteschlange immer länger und die Kunden ungeduldiger werden. Der Kassierer sagt, er habe keinen Lappen und auch keine Zeit mehr. Ich versuche der Frau zu helfen. Sie braucht eine Plastiktüte, der Kassierer bittet mich, ihr eine zu geben. Langsam werden wir ein Team, denke ich, aber dann schickt er uns weg: Alle wollen mit dem Einkauf fertig werden, und er müsse die Kasse sauber machen.

Als wir gehen, sehe ich, dass die Frau sich die Hand verletzt hat, und suche nach einem Pflaster. Sie schüttelt den Kopf. Es sei schon okay. Aber das müsse geklärt werden. Ich schaue ihr in die Augen. „An der Flasche war etwas dran. Das war keine normale Flasche, ich bin sicher“, flüstert sie. Luciana Ferrando

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