Berliner Szenen : Cave im Ohr
Die aktuelle Dystopie
Die Stimme Nick Caves auf meinem Kopfhörer in dem Moment, indem die U1 fast unauffällig unter die Erde fährt. Das düstere Lied passt zum Übergang zwischen der winterlichen Dunkelheit draußen am Gleisdreieck und der Dunkelheit des U-Bahn-Tunnels. Dann ist das künstliche Licht des U-Bahnhofs Kurfürstenstraße am Ende des Tunnels endlich zu sehen.
Nick Cave singt heulend. Der Song ist eine Version von Leonard Cohens „Avalanche“, die ich nicht kannte. Es ist eine Hommage im Radio an den verstorbenen Sänger und es werden mehr melancholische Cover seiner Lieder gespielt.
Der Wagen ist halb voll und die Menschen im Wagen sind so still, dass ich kurz überlege, ob sie gerade mithören. Es wäre schön, wenn sie nur mithören würden, denke ich. Und mit ihren nassen Regenschirmen und dicken Winterklamotten zusammen trauern würden! Gedenkminute für die verlorenen Musiker dieses Jahres und ein bisschen auch für die Welt, die immer unheilbarer wird.
Unter denjenigen, die nicht den Kopf über ihren Handys gesenkt haben, suche ich mir die Menschen aus, die mir am nettesten erscheinen – wie ich es manchmal einfach so mache, und versuche mit ihnen Blickkontakt zu halten. Es funktioniert nur mit zweien, nur kurz. Viel zu schwer, mit den Augen die Stimmung der Musik weiterzugeben, die sie ohnehin nicht hören können. Nicht einfach, ohne Worte zu fragen, ob auch sie glauben, dass die Musikim Radio auf natürliche Art mit der aktuellen Dystopie harmoniert.
Ich lasse es sein. Es ist spät und ich möchte auch wie alle anderen nach Hause kommen und den Arbeitstag hinter mir lassen. Ich werde etwas kochen, den Rechner anmachen, über Facebook und Twitter Herzen und Daumen verteilen, mir einen Film mit Happy-End anschauen. Luciana Ferrando
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