Berliner Szenen: Von Bärgida zum Diktator
Taxi-Zwang
Treffe ich Montagabends kurz vor acht Uhr am Nordbahnhof ein, erwische ich noch eine Tram. Kurz nach acht fährt gar keine mehr, seit Monaten. Dieses Mal ist wieder nach acht, ich warte noch zuversichtlich eine Viertelstunde, dann steuere ich entnervt den Taxistand an. Zum Tanzkurs, den ich in Prenzlauer Berg gebe, muss ich schließlich pünktlich kommen.
Alles nur wegen Bärgida, diesen verstrahlten, aggressiven Menschen, die vom Hauptbahnhof aus zum „Abendspaziergang“ laden und ordentlich Polizeischutz bekommen für Hassparolen und wehende deutsche Fahnen. Einmal sah ich diesen Tross Menschen und mir wurde schlecht.
Der Taxifahrer ist überrascht, dass keine Tram fährt, für eine so kurze Strecke wolle ich mit ihm fahren? Ich nenne ihm die Adresse, sein Blick aufs Navi zeigt, dass ich die Strecke nicht in zehn Minuten hätte laufen können. Der Taxifahrer kennt Bärgida nicht und meint, er bekäme nur Nachrichten aus der Türkei mit. Er fragt, was ich von Erdoğan halte.
Für einen Diktator halte ich den, antworte ich und bin aufgebracht über die Aussicht auf Wiedereinführung der Todesstrafe, die Verhaftungen von JournalistInnen und die jährlichen Hunderte Frauenmorde in der Türkei. Der Fahrer meint, die Todesstrafe gäbe es auch in den USA und Frauenmorde auch hier in Deutschland.
Ich weiß nicht, ob ich schreien oder ihn bitten soll anzuhalten. Aber ich muss ja zum Unterrichten und entscheide mich für Schweigen. Er entscheidet sich offenbar dafür, mich ans Ziel zu bringen.
Hat er gerade wirklich gesagt, wenn jemand so viele Menschen aus dem Ausland gegen sich hätte wie Erdoğan, dann muss doch etwas richtig sein an dem, was er tue? Ich bin froh, endlich aussteigen zu können und pünktlich vor Ort zu sein.
Franziska Buhre
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