Berliner Szenen: Babys mögen
In die Heimat
Ich bin gemeinsam mit einer alten Schulfreundin auf einem Kreuzberger Spielplatz, als ein Junge, der bis dahin allein spielte an der Rutsche, auf die Babytochter meiner Freundin zugeht, sich neben sie setzt und meine Freundin fragt: „Wie alt ist sie denn?“ Meine Freundin lächelt den Jungen an und erwidert: „Neun Monate.“
Der Junge streicht ihrer Tochter über den Kopf und sagt: „Ich mag Babys. Ich habe viel mit kleinen Kindern zu tun, ich wohne bei meiner Tante, und die hat ganz viele davon, und ich helfe ihr immer, auf die aufzupassen.“ Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Das mache ich gern, außer Windeln wechseln, das finde ich eklig. Aber ich glaube, das finden alle Kinder eklig.“
Er beobachtet die Tochter meiner Freundin beim Spielen, kommentiert ihre Bewegungen, fragt nach ihrem Entwicklungsstand und ob sie Kuckuckspiele mag. Dabei ist er sichtlich aufgeregt: Er redet sehr schnell und verhaspelt sich dabei immer wieder. „Ich fliege nachher in meine Heimat, weißt du?“, erzählt er und fügt mit Blick auf dem Boden hinzu: „Ich bin schon sehr aufgeregt.“
Meine Freundin lächelt ihn an. „Was ist denn deine Heimat?“ Er lächelt zurück. „Vietnam.“ Er sieht eine Weile ins Leere und sagt dann: „Da lerne ich dann auch meinen Vater kennen.“
Die Freundin und ich sehen ihn interessiert an. Er schwelgt in Gedanken, lächelt dann nach einer kurzen Stille und sagt: „Ich bin schon sehr gespannt, wie’s da ist. Soll sehr heiß sein.“ Ich sehe ihn fragend an. Er streicht der Tochter meiner Freundin nachdenklich über den Kopf und fährt fort: „Meine Tante sagt, in meiner Heimat ist ein ganz anderes Klima als hier.“ Und dann, nach einer weiteren Stille: „Ich kenne meine Heimat ja nicht. Ich war nur einmal da, und da war ich vier. Ich habe keine Erinnerung mehr daran.“
Eva-Lena Lörzer
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