Berliner Szenen: Im Wald
Der Pilzsammler
Beim Waldspaziergang kommt mir ein älterer Mann in knallroter Lederkluft mit einer hellgrünen Fellmütze entgegen und ruft schon von Weitem: „Emilia?“ Ich schüttle den Kopf und will an ihm vorbeigehen; da stellt er sich genau vor mir auf und spricht mich an. „Von Weitem sahst du ganz aus wie Emilia. Kennst du Emilia?“ Ich verneine, und er deutet auf den Boden. Die Erde neben dem Kastanienbaum sieht aufgewühlt aus. „Da“, sagt der Mann. „Seit Jahren sammle ich hier an der Stelle. Und jetzt? Alle weg.“ Er mustert mich. „Du hast meine Pilze nicht genommen, oder?“
Ich muss mir ein Grinsen verkneifen und sage ernst: „Nein, ich habe von Pilzen keine Ahnung.“
Er nickt versöhnlich, zieht eine zerschlissene Aldi-Tüte aus der Tasche seiner Lederjacke, nimmt eine Handvoll Pilze heraus und nennt mir Namen, Geschmack und Wirkungsweise. Ich zische anerkennend durch die Zähne. „Pilze sind mein größtes Hobby“, erklärt er erfreut. „Ich sammle seit über zehn Jahren. Wenn du willst, kann ich dir eine meiner anderen Stellen zeigen.“ Ich winke ab.
Er lächelt. „Ja, vielleicht besser die Hände von Pilzen zu lassen, wenn man keine Ahnung hat. Sonst vergiftet man noch die Schwiegermutter.“ Nach einer kurzen Pause fügt er laut lachend hinzu: „Obwohl das ja auch was für sich hätte.“
Bald holt er eine weitere Handvoll Pilze aus der Tüte und drückt sie mir ungefragt in die Hand. „Hier bitte. Machste mal eine gute Pilzpfanne. Dann verstehste, warum ich meine Pilze verteidige.“
Zu Hause google ich die Pilze, die er mir gegeben hat, und weil das Ergebnis gut aussieht, schmeiße ich sie anschließend in die Pfanne. Sie schmecken so gut, dass ich überlege, mehr zu lernen über das Unterscheiden von Pilzen und beim nächsten Waldspaziergang selbst sammeln zu gehen. Eva-Lena Lörzer
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