Berliner Szenen: Das Gymnasium
Zukunftspläne
Das Kind ist zehn und plant seine Karriere. Die 5. Klasse Berliner Grundschule ist ja sozusagen (für die Nichteltern unter den LeserInnen) das Sprungbrett dafür. Ab jetzt kommt’s drauf an. Sagt das Kind. Und überrascht seine Eltern mit immer neuen Erkenntnissen.
„Nach den Herbstferien geh ich in die Schach-AG. Mit Lennart. Seine Mutter hat gesagt, das ist wichtig. Das zeigt denen im Gymnasium, dass man intelligent ist und neben der Schule auch noch Hobbys hat.“ Ich bin betroffen. Ich wusste nicht, dass „das Gymnasium“ auf so etwas schaut. Bei uns reichte damals ein gutes Zeugnis. „Ja klar“, erklärt das Kind, „das ist auch wichtig. Aber auch die Zeugnis-Seite, wo steht, wie teamfähig man ist und ob man selbstständig seine Aufgaben macht und all das.“ – „Aber da bist du doch überall so schlecht“, werfe ich ein. „Eben! Deshalb muss ich in die Schach-AG. Die gleicht das dann aus.“
Ich weiß jetzt, welcher Durchschnitt gefordert wird und dass man mit zwei Fremdsprachen mehr Chancen hat als mit einer. „Auf Spiegel Online war ein Ranking von Berliner Gymnasien. Ich will mich nur auf den guten bewerben.“
Mir macht das Angst. Als ich in der 5. Klasse war, war mir wichtig, dass ich beim Gummihüpfen auch im oberen Bereich noch gut die Sprünge machen konnte. Und dass mein Englischbuch als Tischtennisschläger ging, wenn ich meinen vergessen hatte. Schule war gut, Ferien waren besser. Ich spielte Akkordeon im Schulorchester, weil es mir Spaß gemacht hat. Aus den gleichen Gründen war ich beim Judo, im Kinderchor, beim Leichtathletik und beim Voltigieren. Ich war zehn Jahre alt, niemand sprach über meine Zukunft und das Leben war schön – auf dem Dorf in Niedersachsen.
In Berlin ist der Run auf die Gymnasien groß. Mein zehnjähriges Berliner Kind geht seine Zukunft an. Gaby Coldewey
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