Berliner Szenen: An der Fleischtheke
Kurze Hose
Fast täglich gehe ich direkt nach dem Laufen bei Edeka vorbei, und ebenfalls täglich verstärkt sich mein Gefühl, dass sie mich dort unheimlich finden: einen Kunden, der so einsam sein muss, dass er deshalb jeden Tag in den Laden kommt. Und wie der schwitzt! Und diese kurze Hose! Gerade im Frühling und im Herbst erinnert ein erwachsener Mann in kurzen Hosen immer so ein bisschen an das menschliche Niemandsland zwischen debil und ewiggestrig. Speziell an der Fleischtheke spüre ich die Spannung noch mehr als in der Kassenschlange. Manchmal rieche ich wohl auch nicht so gut, gerade im Hochsommer, denn wer duscht schon, wenn er danach laufen geht? Da muss man doch gleich noch mal duschen, und das ist weder ökologisch vertretbar noch gut für die Haut.
Besonders irritiert wirken die Fleischfachverkäuferinnen, wenn ich sie über eine simple Bestellung hinaus anspreche. Sie sind dann schon höflich, doch ich ahne ihren Argwohn – so ähnlich muss sich das für jene armen Tröpfe anfühlen, die in ihren national befreiten oder arisch gentrifizierten Zonen in Sachsen oder Prenzlauer Berg bereits beim Anblick eines Griechen einen Sprengstoffgürtel wittern. Sie denken: Was hat der Irre vor? Ich wünschte, der Mann wäre tot. Das wäre bestimmt besser für uns alle und auch für Edeka. Vielleicht sogar für ihn, denn so etwas ist doch kein Leben. Der quält sich doch nur. Wie der schon schwitzt!
Dabei will ich doch nur wissen, wie diese oder jene Sache zubereitet wird. Manchmal gibt es ja auch Dinge im Angebot, die ich mir sonst nicht leisten kann. Und dann frage ich eben die Verkäuferinnen. Man muss doch nicht immer alles googeln. Ich bin halt eher so ein analoger Typ. Einsam, wahnsinnig und rechtsradikal bin ich hingegen nicht. Echt nicht. Ich stinke nur ein bisschen, und ich kaufe gern ein. Uli Hannemann
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