Berliner Szenen: Schulanfang
Scheiße gesagt
Die Sommerferien gehen spät zu Ende. Es ist schon September, und als der Wecker um sechs klingelt, ist es noch nicht hell und regnet. Kann die erste Schulwoche besser beginnen? Das Kind ist trotzdem gut gelaunt. Es freut sich auf die Schulfreunde. Mittags ruft die Klassenlehrerin an. Oh, das bedeutet nichts Gutes. Richtig! Das Kind habe „scheiße“ gesagt. Und das dann nach ihrer Ermahnung rundweg abgestritten. Das sollten wir sofort wissen.
Ich selber sage oft „scheiße“. Ich fürchte, das hab ich auch als Kind schon getan, kann mich aber nicht erinnern, dass es in der Schule mehr gab als eine Ermahnung, seine Wortwahl zu beachten. Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll, und sage so was wie: „Ja, danke für den Anruf. Ich fühle mich informiert.“
Als das Kind nach Hause kommt, ist die gute Laune weg. „Ich hab gesagt, dass ich es scheiße finde, Mädchen die Hand zu geben. Aber vielleicht hab ich auch ‚doof‘ gesagt, das weiß ich nicht mehr so genau. Frau N. wollte mir gleich einen Eintrag geben. Das wollte ich nicht. Da hat sie euch angerufen.“ Sagt der Fünftklässler.
Ein paar Tage später erzähle ich das meiner alten Schulfreundin. Sie erinnert sich auch nicht an Anrufe von Lehrern. „Als ich Claudia den Atlas auf den Kopf geschlagen habe, in der 5. Klasse, haben die auch nicht bei meiner Mutter angerufen“, erinnert sie sich. „Warum hast du das gemacht?“ Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass die zarte Person als Zehnjährige zu so was in der Lage gewesen ist. „Die hat gelacht, weil ich geheult habe. Und der Atlas lag da gerade.“ Vermutlich mussten sich beide entschuldigen und versprechen, Konflikte zukünftig anders zu lösen. Aber das war 1980.
Abends denke ich über den Anruf nach und frage mich, was man macht. Also so als Mutter. Ich fürchte, ich steh die nächsten sieben, acht Jahre nicht durch. Gaby Coldewey
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