Berliner Szenen: Unter Schwaben
Gell, gell?
Die Berliner Sommerferien lagen dieses Jahr spät, parallel zu denen in Baden-Württemberg. Auf dem Weg nach Frankreich machen wir einen Zwischenstopp bei der Freundin in Stuttgart und ihren Kindern. Das Berliner Kind ist nervös. „Muss ich mit denen reden, Mama?“ Es ist Jahre her, dass er sie gesehen hat. „Nee“, sag ich böse. „Außerdem sprechen die bestimmt Schwäbisch und du verstehst sie gar nicht. Du kannst drei Tage Handy zocken.“ Das Kind nickt zufrieden.
Wir sind kaum angekommen, da verschwindet das Kind mit den beiden Stuttgartern im Kinderzimmer. Sie sprechen Hochdeutsch, ihre Mutter kommt aus Pankow. Kurz darauf verkündet das Kind: „Ich geh mit Anna und David zum Bolzplatz, gell?“ Hat er gerade „gell“ gesagt?
Abends platzt das Kind vor Mitteilungsdrang. „Und Joèl hat gesagt ‚Geb isch dir Brett‘, das ist, als wenn man in Berlin sagt ‚isch mach disch Messer‘, weischt?“ Hilfe! Mein Berliner Kind klärt mich auch gleich auf, dass man „Schturgart“ sagt und dass am nächsten Tag das Porsche-Museum auf dem Programm steht. „Die Schwaben machen voll gute Autos. Die sind auch besser gestyled als die Typen in Berlin. Am Rothebühlplatz ist ein cooles Schuhgeschäft. Da müssen wir auch noch hin.“ Ich atme tief durch.
Es dauert drei Tage, dann will das Kind von Berlin nach Stuttgart übersiedeln oder zumindest in den nächsten Ferien wiederkommen, weil: „Stuttgart ist echt schöner als Berlin, weischt?“ Auch das Freibad in Vaihingen ist „viel sauberer als bei uns in Pankow“.
Zum Abschluss gehen wir Schwäbisch essen. Das Kind starrt lange auf die Speisekarte mit Spätzle, Maultäschle und saure Kartoffelrädle und bestellt dann Putenschnitzel mit Bratkartoffeln. „Da weeß ick wenigstens, was det is, wa?“ So schnell geht Integration dann also doch nicht. Gell? Gaby Coldewey
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen