Berliner Szenen: Im Bus
Darf ich mal?
M29 zwischen Charlottenstraße und Anhalter Bahnhof zur Mittagszeit. Die Menschen stehen dicht an dicht. Ich drücke mich hinter dem Fahrer an die Wand. Ein kleiner Junge kommt die Treppe vom oberen Stockwerk runtergehüpft und hängt sich über die Kleingeldausgabe des Fahrers. Dort baumelt er, und ich denke, wie süß, der Fahrer ist sicherlich sein Papa oder Onkel. Jetzt spricht er ihn an: „Was ist daaas?“ Er zeigt irgendwohin in der Fahrerkabine. Der Fahrer ignoriert ihn. „Waaas ist daaaaas?“ Der Fahrer grummelt mürrisch: „Ein Mikro.“ – „Ein Mikrofon?“ – „Genau.“ – „Darf ich mal?“
Ich stelle mir vor, dass der kleine Sohn oder Neffe manchmal die Ansagen für die kommenden Haltestellen machen darf, voll gut. Der Fahrer grummelt weiter: „Nein, und runter da!“ Okay, sie kennen sich nicht. Der Junge bleibt unbeirrt, zeigt auf jeden einzelnen Knopf, Hebel, Schalter und fragt: „Was ist daaaaas?“ Er lässt nicht locker, das Cockpit eines Busses scheint das Größte für ihn zu sein. Bis seine Mutter die Treppe von oben herunterkommt und ihn am Arm wegzieht. Ich verstehe die Sprache nicht, in der sie schimpft.
Am Checkpoint Charlie kommt eine schicke, ältere Dame angerannt. „Junger Mann, Sie müssen mir helfen! Wie komme ich zum Wintergarten Variété?“ – „Steigen Se ein und Potsdamer Brücke wieder aus“, sagt der Busfahrer, er ist so um die 60. Sie quetscht sich in den Bus. Ihr Schmuck sieht teuer aus, das weiße Haar sorgfältig geföhnt.
Sie beginnt, mit einer anderen Frau zu plaudern. Über Westberlin, wie es sich verändert hat. Welche Geschäfte in der Nähe des Wintergartens früher waren und welche heute. Schließlich fragt die zweite Frau: „Welches Stück wollen Sie sich denn anschauen?“ Die feine Dame sagt: „Anschauen? Doch nicht anschauen! Ich gehe zum Casting.“ Nicola Schwarzmaier
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