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Berliner SzenenImmer noch im Hof

Nachtruhe

Machte es Sinn, eine Obdachloseneinrichtung anzurufen?

Neulich schrieb ich über einen Mann, der seit einiger Zeit auf einem ausrangierten Sofa in der Durchfahrt neben meinem Haus übernachtet und wie seltsam es ist, im eigenen Bett zu liegen und einem Menschen dabei zuzuhören, wie er sich in seinem Nachtlager im Freien einrichtet und in einer Mischung aus Suff und Wahn schimpft oder schreit. Ich bin offenbar nicht die Einzige in der Nachbarschaft, die sich darüber Gedanken macht, erst recht nachdem der Mann vor einigen Tagen aus seinem Schlaf- ein Wohnzimmer gemacht und einen Teppich vor sein Bett gelegt hat.

Am Sonntag klingelte eine Nachbarin bei mir. Ihre Wohnung samt Balkon in der zweiten Etage ist nicht nur viel näher dran an der improvisierten Schlafstatt als ich in der vierten Etage. Im Unterschied zu mir kann sie den Mann nicht nur hören, sondern auch sehen. Und: Er kann auch sie auf ihrem Balkon sehen. Und offenbar gefällt es ihm, ihr Dinge von sich zu zeigen, die sie nicht sehen will.

Die Nerven der Nachbarin lagen blank und ich schlug vor, auf der Terrasse ein Bier zu trinken. Schnell waren wir uns einig, dass man nicht sofort nach der Polizei rufen müsse. Machte es Sinn, eine Obdachloseneinrichtung anzurufen? Wir wussten es nicht. Ich schlug vor, den Teppich wegzuräumen und eine Nachricht zu hinterlassen. „Hallo“, schrieb ich auf ein Blatt Papier. „Wir bitten Sie, unsere Nachtruhe zu respektieren. Danke!“

Nachdem wir das Bier ausgetrunken hatten, gingen wir runter, entsorgten den nach Urin riechenden Teppich und klebten den Zettel mit der Bitte an die Säule neben dem Sofa. Als der Mann am frühen Abend kam, schimpfte er kurz und laut. Dann war Ruhe. Am nächsten Tag schlief er am Nachmittag noch immer. Ich hoffte, er würde die Nachricht lesen, bevor es wieder dunkel wurde.

Barbara Bollwahn

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