Berliner Szenen: Sofa im Hof
Keine Ruhe
Es war eine halbe Stunde vor Mitternacht, als ich noch einmal auf den Balkon ging, um frische Luft zu schnappen. Ich betrachtete die schnell wachsende Trichterwinde mit den blauen Blüten in der namensgebenden Form, strich über die großen dicken Blätter meiner Lieblingspflanzen, darunter die fette Henne, die prächtig wuchsen, und bedachte auch das Avocadobäumchen, das es schon auf anderthalb Meter Höhe gebracht hat, mit einem liebevollen Blick. Da durchbrach ein unverständliches lautes Gebrabbel die nächtliche Ruhe. Es waren nur einzelne Worte, die der Wind bis zu meinem Balkon in der vierten Etage trug. „Alter!“ – „Meine Ruhe!“ – „Eh!“
Ich wusste, wem diese Stimme gehörte, die durch die Nacht schallte. Seit einigen Monaten schon schläft ein Mann auf einem ausrangierten blaugrauen Sofa, das irgendwann von irgendwem in der breiten Einfahrt neben meinem Haus entsorgt wurde, und seitdem dort Wurzeln schlägt. Es ist kein lauschiges Plätzchen zum Schlafen. Nicht einmal einen Meter neben dem Sofa parken Motorräder, Mopeds und Fahrräder. Die Straßenbahn M10 fährt nur fünf Schritte entfernt durch die Boxhagener Straße. „Boah eh!“, hallte erneut die Stimme vom Sofa durch die Sommernacht.
Etwa ein halbes Dutzend Mal schon habe ich den Mann schlafen gesehen, wenn ich morgens Viertel nach neun aus dem Haus ging. Jedes Mal sah ich nur seinen linken Fuß, der unter einer Decke hervorschaute, was mich unangenehm berührte. Es war, als würde ich durch das Schlafzimmer einer wildfremden Person laufen.
Als ich am nächsten Morgen an dem Sofa vorbeikam, schaute kein Fuß unter keiner Decke hervor. Der Mann war schon weg. Seine Decke steckte säuberlich zusammengerollt hinter dem Sofa. Auf seiner zerschlissenen Schlafstatt lag eine leere Saftflasche. Barbara Bollwahn
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