Berliner Szenen: Fußballsticker
Sinn des Sammelns
„Ist heute Tauschbörse?“, fragt Fup. Tauschbörse ist zweimal in der Woche in der Eckkneipe. Eltern sitzen an Tischen. Vor ihnen liegt das Fifa-Album. Daneben ein Zettel, auf denen ausgedruckt alle Nummern stehen, die noch fehlen. Außerdem haben sie mindestens 5 cm dicke Stapel von doppelten Karten zum Tauschen. Diese Stapel werden von den Vätern durchgeguckt, und anhand der Zahlen, die auf dem Zettel stehen, wird überprüft, ob man das Fußballbildchen schon hat, um nicht die ganze Zeit blättern zu müssen. Die eingetauschten Karten werden passgenau eingeklebt. Die Kinder dürfen zugucken.
Fup hingegen hat eine andere Herangehensweise. Er klebt nur die Doppelten ins Album. Die Sticker, die „viel wert sind“, also „Slatan“, wie er Ibrahimovićvertraulich nennt, Reus, Ronaldo, Piqué, Pogba, Griezmann will er behalten und wie einen Schatz vorzeigen. Es erscheint ihm sinnlos, die einzukleben. Eingeklebte Bilder kann man nicht mehr tauschen. Manchmal löst er das ein oder andere Bildchen vorsichtig wieder aus dem Album. Ich sage ihm, dass er die nicht mehr tauschen kann, weil sie nicht mehr kleben, was Fup aber nicht gelten lässt, weil es schließlich einen Prittstift gibt. Ich sage ihm, dass niemand Sticker nimmt, die an den Seiten vom Herauslösen eingerissen sind.
Ich versuche, ihm den Sinn des Sammelns zu erklären. Dass es nicht darauf ankommt, ob die Spieler gut sind, sondern auf die Vollständigkeit. Jetzt sitzt er in seinem Zimmer mit einem großen Zettel, auf dem er die Nummern der Sticker schreibt, die fehlen. Er hat allerdings noch nicht sehr viele Sticker eingeklebt. Nach den ersten Albumseiten, die er gewissenhaft durcharbeitet, ist der Zettel schnell voll, und da Fup zwischen den Zahlen keinen Abstand lässt, sieht das ganze wie ein großer Zahlensalat aus.
Klaus Bittermann
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