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Berliner SzenenSommernacht

Dagegen rauchen

Man soll sich in die Arbeit werfen, wenn es nicht läuft

Die Balkontür öffnet sich, und heraus tritt ein junger Mann, der sich eine Zigarette anzündet. Mit glühendem Blick. Er macht das im Dunkeln. Er raucht, sieht vor sich hin, hält sich die Jacke zusammen, dann drückt er die Zigarette aus und kehrt in sein Zimmer zurück.

Es ist ein komischer Sommer. Es regnet zu oft. Ich höre alte Musik im Wohnzimmer. Ich feile an einem Text, dessen Bezüge mir fehlen. Es liegt keine Erwartung in der Luft, zumindest nicht in dieser Stadt. Unablässig pfeifen Spatzen irgendwo hinter den nassen Blättern vor meinen Fenstern. Ich lege die nächste Platte auf.

Zweimal fliegt im Bad die Sicherung raus. Ich denke über die Spinnerten nach, über die Spinnereien der anderen. Über die Freundinnen, die Urlaub auf einem Bauernhof machen irgendwo in der Sächsischen Schweiz oder gleich in Nepal, weil sie nicht von den Pferden lassen können. Die nicht an die Schulmedizin glauben, sondern lieber vom Buddhismus faseln und von den Selbstheilungskräften der Natur. Die katholischen Mädchen, die etwas suchen, was sie in der Jugend verloren haben; die verspätete Widerstände gegen ihre Väter ausleben. Die mit dem intakten Elternhaus, die Bayernfans sind und keine Romane lesen, weil sie sich nicht für Literatur interessieren, und ich habe keine Ahnung, woher diese Abwehr kommt.

Die Nachbarn oben rauchen aus dem offenen Wohnzimmerfenster. Sommernächte, in denen man raucht. In denen man rauchen muss wegen der Gefühle, die man hat. Die Sommernachtintensitäten, die man rauchend genießen muss. In denen man raucht, weil man Angst vor den Gefühlen hat und Angst, dass sie vergehen könnten.

Man soll sich in die Arbeit werfen, wenn es draußen im Sozialen nicht so läuft, das ist kein buddhistischer, sondern eher so ein pragmatischer Ansatz.

René Hamann

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