Berliner Szenen: An der Kasse
Geheim und grün
Ich steh an der Kasse, schaufele Sachen vom Band in den Korb und fühl mich ganz gut. Hinter mir steht ein älterer Mensch mit Kind, Opa und Enkelin, tipp ich mal, und die Enkelin fragt den Opa, wann sie denn dran ist und auch schaufeln darf, und der Opa sagt: „Erst mal muss der Herr fertig werden.“
Mit „Herr“ meint er mich, und irgendwie passt das schon. Aber dann schaut er mich an, gründlicher als noch gerade eben anscheinend. „Die Dame, mein ich“, sagt er nun, halb zu mir, halb zu seiner Enkelin. Und dann schüttelt er den Kopf, auch so halb: halb vorwurfsvoll, halb entschuldigend. „Ist ja doch schwer zu sagen.“ Die Enkelin findet das auch. Sie fragt, nicht mich, was am meisten Sinn ergäbe, sondern den Opa, was gar keinen Sinn ergibt, finde ich, weil woher soll er das denn wissen, so genau, wie sie’s haben will: „Ist das ein Mann oder eine Frau?“
Ich seufze. Jetzt bin ich angespannt. Eine Antwort habe ich nicht; seit und nach vielen Jahren nicht. Ist mir schon peinlich langsam, muss ich mal sagen. Und vielleicht deshalb ergibt es ja doch irgendwie Sinn, wenn der Opa antwortet. Aber der Opa antwortet nicht. Er überlegt. Ich hole so lange meine EC-Karte raus und stecke sie in den Schlitz des Lesegeräts.
„Opa, was ist das denn nun?“, fragt die Kleine, und immer noch weiß der Opa das nicht, weiß ich das nicht. Aber die Kassiererin weiß es. „Geheim und grün“, sagt sie.
„Was?“, frage ich.
„Geheimzahl eingeben und dann die grüne Taste drücken.“
„Ach so“, sage ich. „Schade eigentlich.“
„Was?“ Jetzt guckt die Kassiererin perplex.
Ich winke ab, denn das zu erklären, ist noch komplizierter: geheim und grün als Geschlecht statt Mann oder Frau. Aber irgendwie gefällt es mir, und ab jetzt antworte ich genau das, wenn mich noch mal wer fragt. Geheim und grün. Joey Juschka
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