Berliner Szenen: Bei der Prophylaxe
Alles wieder gut
Zahnarztprophylaxe. Wieder ein Jahr rum. „Das sieht doch schon viel besser aus!“, freut sich die Assistentin. Sie streichelt meine Zähne mehr, als sie zu reinigen. Vor einem Jahr noch hat sie mit der Zahnseide in meinem Mund herumgesäbelt, als wolle sie mir eine Gaumenkieferspalte verpassen. „Gucken Sie sich das an!“, schimpfte sie und hielt mir einen Spiegel vors Gesicht. Ich sah aus wie ein Vampir nach dem Abendbrot. „Wenn Sie so weitermachen, ham Sie mit 50 nichts mehr übrig zum Putzen!“ – „Ich verspreche, mich zu ändern!“, jammerte ich. „Ich verspreche, die elektrische Zahnbürste zu benutzen, bis der Akku versagt, die Zahnseide zu ehren und das Mundwasser zu heiligen! Aber bitte, bitte hören Sie auf!“Die Zahnarzthelferin schnaubte missbilligend.
Drei Tage lang hatte ich Angst, feste Nahrung zu mir zu nehmen. Bei jeder Stulle fürchtete ich, meine Schneidezähne würden im Brot stecken bleiben. Danach kehrte ich zu meiner alten Routine zurück.
Seitdem hatte ich mehr Angst vor der Assistentin als vorm Zahnarzt, bei dem kriegt man wenigstens eine Spritze.
„Alles gut!“, sagt sie heute. Vor einem Jahr war mir nur die steile Zornesfalte überm Rand ihres Mundschutzes aufgefallen. Nun war ihre Stirne glatt und ihre blauen Augen lächelten. „Da bin ich aber froh!“, sage ich. „Letztes Jahr waren Sie so böse.“ Es klingt ein bisschen komisch, weil ich den Spuckeabsauger im Mund habe. Aber sie versteht mich. Im Zahnarztbusiness ist man geschult darin, mit Leuten zu reden, die den Mund voll haben.
Die Augen der Assistentin hören auf zu lächeln und senken sich betroffen. „Ja, ich weiß“, sagt sie. „Das hat die Patientin vor Ihnen auch schon gesagt.“ Und dann erzählt sie mir, dass genau vor einem Jahr gerade ihr Freund mit ihr Schluss gemacht hatte. Nach zwölf Jahren Beziehung! Knalltüte!
„Und gibt es jetzt jemand Neues?“, frage ich. Sie nickt, und ihr Blick wird ganz wässrig vor Glück.
Ich hoffe nur, die Beziehung hält eine Weile. Zum Wohle der Zähne. Lea Streisand
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