Berliner Szenen: Richtungswechsel
Dann die Welt
Die Kaffeemaschine ist schon weg. Die Späti-Besitzerin bietet mir Filterkaffee an und geht in die Küche, um ihn vorzubereiten. Ich schaue mich um: Die Regale werden immer leerer, in manchen stehen nur ein paar Flaschen, die Chipstüten sehen verlassen aus, zum Kaufen gibt es nur, was es gibt. Der Späti macht Ende des Monats dicht.
Gibt es überhaupt Leben nach dem Späti? Was kommt denn danach? Ein Büro? Ein Atelier? Sieben Jahren sind genug, sagt die Späti-Besitzerin. Sieben Jahre ohne freie Tage, man vergisst, was ein Wochenende ist. Ein Richtungswechsel muss sein, wenn man sieben Jahre lang das Gleiche unternimmt und nicht mehr glücklich damit ist. Als Allererstes möchte sie Urlaub machen, am Strand. Später reisen. Vielleicht will sie sich einen Bulli ermöglichen und die Welt erkunden. Ob es gefährlich sei, als Frau allein aufzubrechen, in der Natur zu schlafen? Darf man überall, überall parken? Wasser könnte man vom Regen sammeln, kochen mit einem Campingherd und essen, wenn man Hunger hat, halten, wo man es schön findet.
Einige Monate, ein Jahr lang unterwegs zu sein. Das war schon immer ihr Traum, das ist Freiheit. Selbst Familien machen sich auf den Weg, mit ihren kleinen Kindern. Das finde sie super, besser als die beste Schule für die Kinder. Sie liest gern im Internet über solche Leute und verpasst keinen ihrer Blogeinträge. Sie sind mutig, diese Menschen, so was muss man erlebt haben, und das geht nicht, wenn man in Neukölln, hinter der Spätitheke für immer bleibt. Ich sage, dass sie bald endlich die Zeit und das Geld haben wird, um ihrem Wunsch nachzugehen. Sie lacht. Erst schön und richtig träumen, dann machen, sagt sie. Ich sitze draußen in der Sonne auf einer Bierkiste, trinke meinen Filterkaffee mit Kaffeeweißer und denke über Reisen, Neukölln und die Welt nach.
Luciana Ferrando
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