Berliner Szenen: Das Vor-Vorspiel
Alte Heimat
Ein Vorabend in Prenzlauer Berg. Es sah grau und aufgeräumt aus, hier gegenüber dem Sportpark, den es schon lange gibt und in dem ich vor Jahren mal meine Runden zog. Ein Teil des Gehsteigs wurde erneuert, vor und gegenüber den neuen Gebäuden. Vor den Ruinen ist der Gehsteig ruinös, durchlöchert, wahllos bepflastert.
Ich war verabredet, ich sollte abgeholt werden. Neuerdings bin ich wieder öfter hier; allmählich gefällt mir das Viertel, aus dem ich vor zehn Jahren wegzog, wieder. Geschlossene Baulücken, angelegte Parks. Seltsam, wie weit entfernt diese Zeit ist, die Gegend, in der ich drei Jahre gelebt habe, die ich durchwandert bin, die ich beschrieben habe.
Ich halte inne, als neben mir ein Wagen parkt, und vor mir jemand aus einer Haustür kommt. Eine Frau mit Perücke, mit Blumenkleid, vielleicht Anfang 40. Sie stöckelte auf die Stretchlimo zu, warf mir einen undefinierbaren Seitenblick zu. In ihrem Ausschnitt konnte ich ein blinkendes Kreuz erkennen, es wirkte deplatziert. Sie räusperte sich und hielt den Blick. Ich konnte sehen, dass sie dunkle Augen hatte. Sie nickte auffordernd, lächelte und stieg vor mir ein.
Wenig später betrat ich eine Wohnung, in der alles an seinem Platz schien. Die Dinge, die Gegenstände, die Einrichtung, die Möbel. Eine lügende Waage, die freundlicherweise zwei Kilo zu wenig angab, ein Ofen mit Digitalanzeige. Intelligente Spülmaschine. Ein Fernsehgerät mit Blumentopf auf dem Kopf. Alles wirkte wohlplatziert, ausgesucht, geschickt hindrapiert. Die einzige Irritation ging von einem Rahmen aus, dem das Bild oder das Spiegelglas fehlte.
Eine seltsame Mischung aus Heimatbesuch und Dekadenz beschlich mich. Ich fühlte mich, als ob ich meine Oma besuchte. Ich kannte das alles. Es sah so unwirklich real aus, irgendwie.
Kurz darauf wurde ich ausgezogen. René Hamann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen