Berliner Szenen: Griechische Bank
In der Neurozone
Tevronia trägt einen rosafarbenen Hut, eingedruckt weiße Schmetterlinge auf ihm, und der Rock ist flaschengrün und ein Stufenrock und dann sagt sie, es klingt fast hochdeutsch: „Guten Tag, willkommen!“ Sie zeigt auf sich und bedeutet: „Berlin!“ , dann streckt sie zehn Finger in die Höhe. Hat sie zehn Jahre in Berlin gelebt? Sie lacht, hier endet die deutsche Sprache. Tevronia, sie ist etwa 70, sitzt auf einer Holzbank in Thessaloniki und ich neben ihr, weil ich ein paar Tage in Nordgriechenland bin. Wir sind eine Zufallsbekanntschaft, und wir dösen an der Paralia, der Meerespromenade der Hafenstadt. Eine Brise kommt vom Wasser, eine dicke, feuchte Wolke schiebt sich vor die Sonne. Dieser Tage ist das Wetter nicht stabil – so wie die Stimmung. „Bald sind wir in der Neurozone“, hatte just in bestem Englisch ein Bierverkäufer der Marke Fix gefeixt, ein Euro die eiskalte Büchse. „Doch ich sehe keine Nachrichten mehr, was sollst du noch glauben?“ Die stämmige Tevronia versucht mir gleichfalls etwas zu verklickern über den Euro, sie palavert in Griechisch von Putin und dann kommt wieder ein „Guten Tag!“ und auf der Bank steht in großen schwarzen Lettern „Love Sex“ und Tevronia fächelt sich Luft zu und ich frage sie, ob ich ein Foto von ihr machen darf und sie hält den Daumen nach oben. Kein schlechtes Foto, das mit „Love Sex“ hat sie anscheinend nicht gesehen oder sie findet es selbst lustig, jedenfalls lacht sie verschmitzt in sich hinein und sagt noch mal „Willkommen!“.
An der Paralia geht es jetzt auf den Sonnenuntergang zu. Toute Thessaloniki zieht hier vorbei, ein urbaner Catwalk schaut auf die Wellen, gestikuliert, küsst, hält Händchen, joggt und telefoniert gleichzeitig, raucht, schiebt Rollstühle vorbei, knabbert Maiskolben ab, lässt Luftballons steigen. Nur politisch diskutiert wird, gefühlt, anscheinend nicht mehr. „Inshallah“, schließt Tevronia ihren Wortschwall. Inshallah.
Harriet Wolff
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