Berliner Szenen: Unterwegs mit Schippy
Auch nicht jünger
Vor dem SO36 sagt eine junge Frau zu mir: „Hey, geile Schuhe. Normalerweise hätt’ ich gesagt, der Typ, der solche Schuhe anhat, hat echt’n Rad ab, aber zu dir passen sie. Echt geil.“ Ich sage „Oh, danke“ und wechsle die Straßenseite, denn dort wartet Schippy. Schippy ist der Fahrer von den Sleaford Mods und Veranstalter, der schon die Sleaford Mods veranstaltet hat, als sie noch niemand kannte. Und mich, den auch niemand kannte.
Schippy will, dass ich die Sleaford Mods gut finde und hat mir daher eine Pressekarte besorgt. Er sagt: „Das ist die Pressekarte von Diedrich Diederichsen, aber der hatte keine Zeit.“ Das ist schon das 2. Mal, dass ich für Diederichsen einspringe. Einmal bei einer Podiumsdiskussion und jetzt hier. Im SO36 sitzt ein Betrunkener mit löchriger Kunstlederjacke neben mir und sagt: „Was machst du denn hier? Biste mit deinem Sohn da?“ Ich sage: „Du bist doch auch nicht jünger als ich.“ Er lacht. Später schreit er „Aua!“, weil die Vorgruppe Sudden Infant kreischende Rückkopplungsmusik macht.
Endlich kommen die Sleaford Mods. Der eine hat eine Basecap auf und steht einfach nur auf der Bühne herum, eine Hand in der Hosentasche, in der anderen ein Bier. „Das ist der Produzent. Der drückt nur ab und zu auf eine Taste seines Laptops“, sagt Schippy. Der andere singt. Ich verstehe aber nichts. Nur: „Smash the fucking window.“ Schippy versteht auch nichts. Niemand versteht etwas, oder nur ganz wenig, denn sie kommen aus Nottingham. Aber es soll lustig sein, mit vielen „fucks“ und „fuckings“. Schippy meint, die Lyrics müssten unbedingt übersetzt werden, mit einem großen Anmerkungsapparat. Der sei notwendig, sonst verstünde man nicht mal die Übersetzung.
Vor der Bühne wird die junge Frau, die mich vor dem SO36 angequatscht hat, stagedivingmäßig über den Köpfen der Leute hinweg hin- und hergewuchtet. Klaus Bittermann
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