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Berliner SzenenNur ohne Gluten

Berlin ist wild und gefährlich. Und unsere AutorInnen sind immer mittendrin. Ihre schrecklichsten, schönsten und absurdesten Momente in der Großstadt erzählen sie hier.

W ir gehen zu unserem Lieblingsinder, wie so oft. Er kennt uns und weiß meistens schon, was wir bestellen wollen. Ist aber auch einfach, weil wir fast immer das Gleiche essen. Heute auch. Wir trinken auch fast immer das gleiche: Stefan ein großes indisches Bier vom Fass und ich einen Mango-Lassi und einen Teil von Stefans Bier. Weil das immer so ist, finde ich es nicht sexistisch, dass der Kellner das Bier immer gleich bei Stefan hinstellt und das Nichtbier bei mir.

An den Tisch neben uns setzen sich vier Leute, und der Kellner kommt, um die Bestellung aufzunehmen. „Ist die 67 ohne Gluten?“, fragt die eine Frau. Die Arme, denke ich, Leute mit Glutenunverträglichkeit tun mir immer so leid. Der erste Mann sagt, er hätte den Lassi gern mit Sojamilch und ohne Kristallzucker. Der Kellner sagt, er geht mal in der Küche fragen, ob das geht. Ich will rüberrufen, dass das nicht geht, aber macht man ja nicht, ne? Der zweite Mann sagt bei seiner Bestellung nur, „vegan, bitte“. Und die zweite Frau will „die 62 ohne Gluten, ohne Milch oder Milchprodukte, ohne Kristallzucker und auch so einen veganen Lassi“. Mein armer Kellner geht in die Küche und kommt zurück und sagt, Lassi gibt es leider nur mit normaler Milch. Dann nur Wasser, sagen die Leute. Als das Essen kommt, fragen sie alle noch mal einzeln nach, ob das jetzt auch ohne Gluten, Laktose, Zucker, Scheißdreck ist. Dann essen sie und unterhalten sich über Essen.

Sie reden über Stevia und dass viele Produkte, die Stevia als Süßungsmittel enthalten, ja heimlich trotzdem auch Kristallzucker enthalten und dass die Zuckerindustrie uns da alle verarscht. Das ist genau der Inhalt des Foodwatch-Newsletters von letzter Woche. Schön, dass Leute noch auswendig lernen. Als sie noch eine Schale Reis nachbestellen, wünsche ich ihnen, dass der Kellner ein klein wenig Affenhirn mit reinmischt.

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Margarete Stokowski
Autorin
Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff
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6 Kommentare

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  • AD
    Atuna D.

    "Perlen der taz" - schreibt Matthias Vernald in seinem Kommentar. Ja er hat es verstanden.

    Margarete bedeutet Perle!

     

    Michael, Katharina, nimmt es lockerer! Das ist doch nur eine Kolumne! Die Autorin schreibt ja auch deutlich, dass ihr Leute mit Glutenunverträglichkeit leid tun. Oder darf man das auch nicht schreiben, weil Sie an Mittleidsunverträglichkeits leiden?

  • R
    Robert

    Ich finde diese Kommentare herrlich, denn sie spiegeln das typische zugezogene NeoBürgertum wieder, die einen riesen Bohei um alle möglichen Sachen machen, angefangen bei der Kindererziehung bis zum Essen. Wenn man den Kommentar so liest wie er ist, dann liest man heraus, dass es sich 100 prozentig nicht bei allen 4 Leuten um Glutenunvertraglichkeiten handelt, sondern um Leute die ultra gesund, ultra vorsichtig sind und einfach nur nerven, wie z.B. wenn bei Starbucks ein koffeinfreier mit laktosefreier Sojamilch, natürlich fettfrei gemachter Latte bestellt wird- dann gleich Yogitee bestellen! Ja soetwas muss auch mal kommentiert werden. PS: Nicht immer gleich angegriffen fühlen!

  • P
    Peter

    Ganz toller Artikel!

    Die wenigsten Menschen suchen sich ihre Glutenunverträglichkeit (oder, igitt, noch viel schlimmer: Fructoseunverträglichkeit!) aus!!!

    Dieser Artikel ist an Intoleranz fast nicht zu überbieten.

    Bei Artikeln über Überfälle in Berlin-Neukölln gerne mal "vergessen" welche Nationalität die Täter haben, aber hier auf kranken Menschen herumhacken!

    Ihr seid so erbärmlich und falsch!!!

  • MV
    Matthias Vernaldi

    Ich kann mich ja als Berufs- und Schwerbehinderter jetzt hier hinstellen und sagen, dass der Text gar nicht behindertenfeindlich ist. Klar, ich habe keine Glutenunverträglichkeit und selbst wenn ich eine hätte, könnte ich nicht für alle sprechen. Genauso wenig können die Leute, die eine haben und die sich von diesem Text verletzt fühlen, für alle sprechen.

    Die Mäkler im Text jedenfalls waren doch offensichtlich nicht als Leute mit Gluten- oder Laktoseunverträglichkeit beschrieben, sondern als Typen, die um ihr Essen ein Riesenbohei machen, weil sie irgendwo etwas über die Schädlichkeit für den Körper oder die Gesellschaft eines bestimmten Nahrungsmitteln gelesen haben.

    Doch eigentlich ist das die falsche Argumentation. Die Texte von Margarete Stockowski sind wegen ihrer Subjektivität, Originalität und oft genug auch Frechheit (ja, Frechheit! Frechheit verletzt auch) Perlen der taz. Dies ist keine Reportage oder ein gut recherchierter Artikel zu einem Thema, sondern Literatur. Kunst darf viel – sogar über Behinderte lachen. Für mich gilt immer noch Harald Schmidts Ansage, dass keine Randgruppe in der Gesellschaft ausgegrenzter und diskriminierter ist, als die, über die man nicht lachen darf.

  • KS
    Katharina Schmidt

    Sehr geehrte taz-Redaktion, sehr geehrte Frau Stokowski,

    mit einiger Verärgerung habe ich Ihren Beitrag gelesen und frage mich, wo das bleibt, was ich bei einer ernstzunehmenden Zeitung für selbstverständlich halte, nämlich dass entweder ein Artikel vernünftig recherchiert ist oder aber von einem Kommentar erwartet werden kann, dass er von einen gewissen Grundrespekt für Menschen mit anderen Bedürfnissen zeugt. Dass Frau Stokowski anderen Menschen Affenhirn ins Essen wünscht, deren Bedürfnisse sie offenbar nicht nachvollziehen kann, aber munter und feindselig verurteilt, ist an sich schon traurig; dass sie es öffentlich macht, halte ich für unklug und höchst bedauernswert.

    Es hätte z.B. einen ganz einfachen Weg gegeben, das für Sie Unverständliche zu verstehen (vorausgesetzt, es interessiert Sie überhaupt): Sie hätten die Betreffenden z.B. fragen können, warum sie das so bestellen und dann noch mal nachfragen. Ich lebe mit einem Mann und einem Sohn, die beide glutenfrei leben müssen, um nicht krank zu werden, und ich kann Ihnen versichern, dass es schon mehr als einmal vorgekommen ist, dass trotz klarer Bestellung dann doch vergessen wurde, das Gluten wegzulassen (besonders dann offensichtlich, wenn man das „natur“ bestellte Schnitzel paniert serviert bekommt oder Brotcroutons auf dem „glutenfreien“ Salat sind). Eine Zöliakiediagnose geht übrigens sehr häufig mit einer (manchmal vorübergehenden) Laktoseintoleranz einher.

    Ganz unabhängig davon: Ich weiß nicht, was Sie daran hindert zu akzeptieren, dass Menschen vegan leben oder bestimmte Dinge nicht essen wollen.

    Und: Warum bestellen Sie eigentlich immer das Gleiche bei „Ihrem armen Kellner“? Einfallsarmut? Nicht offen für Neues? Oder was?

    Mit freundlichen Grüßen

    Katharina Schmidt

  • ME
    Michael Eid

    Ich bin schockiert über diesen behindertenfeindlichen Beitrag. Bei der Glutenunverträglichkeit (Zöliakie, einheimische Sprue, Morbus Duhring) handelt es sich um eine chronische Darm- bzw. Hauterkrankung. Die Unfähigkeit, das Gluten abzubauen, führt u.a. zu einer Verklebung der Darmzotten, Abmagerung, chronischen Durchfällen, vielfältigen Mangelerkrankungen sowie einem erhöhten Krebsrisiko. All dies kann nur durch eine 100%ige glutenfreie Diät gebessert bzw. verhindert werden. Sich in einer Weihnachtsausgabe über das Leid von anderen Menschen lustig zu machen, zeugt von einer seltsamen Art von Humor.