Berliner Szene: Über den Zaun
Das geilste Leben
„Freie Journalistin also? Is ja auch ganz schön hart, oder?“, fragt die Nachbarin smalltalk-mäßig über den Zaun. Ich nicke: „Schon.“ Sie nestelt nach einer Zigarette in ihrer Blazertasche, steckt sie sich gemütlich an und stellt, während sie dem Rauch nachsieht, eher rhetorisch fest: „Da muss man dann ja jedes Mal neu verkaufen, was man schreibt.“ Ich nicke wieder.
„Früher habe ich davon auch mal geträumt“, sagt sie. „Jetzt wäre mir das viel zu anstrengend. Es ist schon lustig, was sich so alles ändert im Leben. Kann man sich gar nicht mehr vorstellen, aber ich war ja ganz lange Hippie, habe in einer Grotte gelebt und den ganzen Tag nur gekifft. Damals wollte ich echt nichts weiter vom Leben als gutes Wetter, kiffen und Party machen.“ – „Und dann?“, frage ich neugierig. „Ja, dann bin ich älter geworden, und irgendwann war der Punkt erreicht, dass ich auch irgendwas Eigenes vorweisen wollte, was schaffen, wer sein. Am Ende geht’s doch immer ums Geld, weißte, das wirste auch noch merken. Wie alt bist du jetzt?“ Gedankenverloren murmle ich „33“, da fährt sie zwischen zwei langen Zügen an ihrer Zigarette auch schon fort, für mich zu überlegen: „Immobilien sind wohl eher nicht deins, oder? Da kann man ohne große Anstrengungen dick Geld mit machen.“ Ich schüttle entschieden den Kopf: „Auf gar keinen Fall.“
Sie denkt nach: „Und wenn de ’n Buch schreibst, um Kohle zu machen?“ Ich schüttle wieder den Kopf. „Von einem Buch leben zu können ist aussichtslos, wenn man nicht gerade Vampir- oder Erotikgeschichten schreibt.“ Sie sieht mich groß an. „Ja? Kommt das nicht vor allem auf den Titel an, was sich gut verkauft? Ich wollte schon immer ein Buch mit dem Titel ‚Das geilste Leben‘ schreiben. Das würde doch jeder kaufen. Ich meine: Jeder will doch das geilste Leben haben.“
Eva-Lena Lörzer
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