piwik no script img

Berliner SzeneSprüche an der Wand

Lektion in Geschichte

„Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet!“

Die ersten Schneeflocken waren gefallen, prompt fand der Flohmarkt auf dem Boxhagener Platz nicht statt. Ich drehte eine Runde über den leeren Platz und staunte über die Kinder, die in voluminösen Skioutfits herumliefen, als seien sie in einem Wintersportgebiet. Schließlich landete ich in der „Blechbar“ am Ende der Simon-Dach- Straße. Vor über zehn Jahren war die Blechbar eine der wenigen Kneipen, die es in der nach einem Dichter der Barockzeit benannten Straße gab.

Im Vergleich zu den zahllosen Kneipen, Restaurants, Imbissen und Spätverkaufsstellen, die inzwischen hinzugekommen sind, wirkte die Blechbar mit ihren rohen Steinwänden und blanken Holztischen unaufgeregt und sympathisch. Die Bar war so gut gefüllt, dass ich nur noch Platz am Tresen fand. Ich bestellte einen Espresso und las all die Sprüche an den Wänden: „Wer die Freiheit für die Sicherheit aufgibt, verliert am Ende beides!“ stand da. Oder: „Wir kriegen euch alle!“ Eine Botschaft war in Blau geschrieben. „Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet!“ An den Tischen hinter mir wurde Englisch und Französisch gesprochen. Ein Schild im Fenster warnte in fünf Sprachen vor Taschendieben.

Ich ließ meinen Blick weiter schweifen und blieb an zwei Sprüchen mit Aufforderungen an die Gäste hängen: „Nehmt die Stöcke aus dem Arsch, wir machen Lagerfeuer!“ Und: „Nehmt uns so, wie wir sind, oder geht, wie ihr gekommen seid!“ Ich hatte keinen Stock im Arsch, den ich hätte herausnehmen können. Und ich hatte ohnehin vor, so zu gehen, wie ich gekommen war. Als ich meinen Espresso beim Barkeeper bezahlte, fiel mir noch ein Spruch auf, der aus dem Film „Desperado“ stammt: „The bartender never gets killed“. Schüsse waren an diesem Sonntag nicht gefallen, nur die ersten Schneeflocken.

Barbara Bollwahn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen