Berliner Szene: Spam
Volles Wartezimmer
In meinem Spam-Ordner ist ganz schön was los. Sobald ich ihn öffne, habe ich das Bild eines total überlaufenen Wartezimmers vor Augen. Man kommt rein, die Luft ist bereits restlos verbraucht, die unterschiedlichsten Leute sitzen rum, und alle warten, dass sie irgendwann zu mir reindürfen. Währenddessen übertreffen sie sich gegenseitig mit den großartigsten Versprechungen.
Peter Padberg bietet mir einen „Unglaublichen Kredit“ an, woraufhin Michael Schröder von preise-vergleichen.de.cc erklärt, ich sei ausgewählt. Hier und da wird geschnieft und in Zeitschriften geblättert, ehe „amateurfilmer“ mit „Im Schlafzimmer nebenan ist die Hölle los“ die anderen wegzulocken versucht. Woher sind die alle, frage ich mich. Während ich noch grüble, redet ein gewisser „Steven S.“ Klartext: „Bist du hart genug für Sarah?“. Gedanklich gebe ich die Frage direkt weiter an „Stefanie U. Schneider“, die klipp und klar vermeldet: „Ich verstehe Sie nicht!“ Wobei ich wiederum nicht sicher bin, wen sie mit Sie meint. Diesen ominösen Steven S. oder doch gar mich?
Kurz danach fühle ich mich geschmeichelt, denn in der nächsten Mail scheint es tatsächlich um mich zu gehen: „Styling for you, Hallo Jochen, Dein professionelles Umstyling wartet“ – spätestens jetzt bin ich mir sicher, dass die alle wirklich ernsthaft krank sind. Wer schickt mir all diese Botschaften? Vielleicht sind es gar versteckte Hilferufe? Von ein und derselben Person?
Ich tippe auf den Kerl aus dem 4. Stock. Der hat T-Shirts mit lauter doofen Sprüchen an. Möglicherweise braucht er meine Hilfe. Möglicherweise sogar schnell. Gerade als ich ihm antworten will, sehe ich ihn unten stehen, tief vornübergebeugt über sein Smartphone. Ich wette, gleich hab ich wieder was Neues im Spam.
Jochen Weeber
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