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Berliner Sozialgericht zu Hartz IVSoziale Kälte neu definiert

Das Landessozialgericht hält Heizkostenzuschüsse für Hartz-IV-Empfänger für zu hoch und kippt die Sätze. Mieterverein und Linke protestieren.

Müssen Hartz-IV-Empfänger bald am Regler drehen? Bild: dpa

BERLIN taz | Wenn dieses Urteil Bestand hat, müssen Hartz-IV-Empfänger die Heizung runterdrehen: Laut einer Entscheidung des Landessozialgerichts vom Donnerstag ist der Senat zu großzügig mit den erlaubten Heizkosten. Das Land Berlin kann jedoch noch in Revision zum Bundessozialgericht gehen. Bis dahin gilt weiter die bisherige Regelung, die sogenannte Wohnaufwendungsverordnung.

Das Urteil, das nach dem Klärungsantrag einer Hartz-IV-Empfängerin erging, kam unerwartet. Denn seit Sozialsenator Mario Czaja (CDU) seine Verordnung für die Miet- und Heizkosten von Hartz-IV-Empfängern im Frühjahr 2012 vorstellte, lautete die Kritik mehrheitlich: Das ist zu wenig, das reicht nicht. Das Landessozialgericht ist nun in die entgegengesetzte Richtung gegangen.

„Das überrascht mich jetzt schon“, sagte die Linkspartei-Abgeordnete und Sozialexpertin Elke Breitenbach der taz. Ihr sei bislang kein ähnliches Urteil bekannt. Man müsse Berliner Besonderheiten wie den großen Altbaubestand berücksichtigen, der starkes Heizen erfordere. Und in energetisch sanierten Häusern würden eher selten Bezieher des Arbeitslosengelds II wohnen.

„Das ist alles eingepreist“, entgegnete Gerichtssprecher Sebastian Pfistner auf taz-Anfrage. Der höhere Heizaufwand in den Altbauten sei ja bereits bekannt. Der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins Reiner Wild forderte den Senat gestern auf, „nun schleunigst zu handeln und endlich eine neue Verordnung zu erlassen“.

Unerwartetes Urteil

Senator Czaja lehnt eine solche schnelle Korrektur hingegen ab. „Das Gericht hat weder den Mietspiegel, die einheitlichen Richtwerte für ganz Berlin noch dem Grunde nach das Bruttowarmmietenkonzept als Basis für die Wohnaufwendungsverordnung infrage gestellt“, reagierte Czaja auf das Urteil. Er mochte sich zwar vor Erhalt der schriftlichen Urteilsbegründung nicht festlegen, die Möglichkeit eines Revisionsverfahrens am Bundesozialgericht zu nutzen, scheint aber dazu zu neigen: „Wir sind daran interessiert, die Verordnung höchstrichterlich prüfen zu lassen.“ Weil das Urteil bis zu einer solchen Entscheidung oder dem Verzicht auf Revision nicht rechtskräftig ist, will Czaja die bisherige Aufwendungsverordnung weiter anwenden.

Im Bundessozialgesetzbuch ist festgelegt: Bei Hartz-IV-Empfängern zahlt der Staat die Kosten für Wohnung und Heizung, „soweit diese angemessen sind“. Was vor Ort angemessen ist, legen dann die Länder und Gemeinden fest. In Berlin übernimmt der Senat die Zahlen für die angemessenen Heizkosten aus dem bundesweiten Heizkostenspiegel. Dort finden sich Vergleichszahlen je nach Hausgröße und Heizungsart, stets aufgeteilt in vier Kategorien: niedrig, mittel, erhöht und zu hoch.

Der Senat übernimmt die Zahlen aus der Kategorie „zu hoch“. Damit würde die Verschwendung zum Grundsatz gemacht – und das kann nicht angemessen sein, meinen die Richter. Wenn der Senat stattdessen die Zahlen aus der Kategorie „mittel“ nehmen würde, dürften Hartz-IV-Empfänger nur noch ungefähr halb so viel Geld zum Heizen ausgeben wie bisher. Das Gericht beklagt zudem, dass der Senat bundesweite und keine regionalen Vergleichswerte nimmt.

In Berlin gibt es derzeit rund 303.000 Haushalte, denen der Staat die Kosten für Heizung und Unterkunft zahlt. Eine Wohnung für vier Personen und mit Fernwärme zum Beispiel darf derzeit bis zu 670 Euro kosten. Das summiert sich in Berlin für alle Empfänger auf 1,4 Milliarden Euro pro Jahr. Ein Drittel davon zahlt der Bund, den Rest das Land Berlin.

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19 Kommentare

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  • R
    Rentner

    Solange der Eigene Arsch nicht friert,wenn interessierts!!!!!!

    Mal wird der Tag kommen wo die Menschen wach werden u.

    endlich auf die Barrikaden (Straßen gehen!),es brodelt schon!!!!

    Schau dir die Voll-gefressenen Staatsdiener an,fett friert nicht!!!!!

  • B
    berlina

    Ist doch alles ganz easy. Einfach tagsüber 8 Stunden Flaschen sammeln gehen oder bei der Tafel anstehen, schon passen auch die Heizkosten. Den Pulli gibt es auch vom Roten Kreuz.

     

    ;-)

     

    Wen interessiert da schon, dass bei Neuvermietungen mal eben 20 bis 30 % mehr Miete verlangt werden- soviel, wie sich kein Hartzer oder auch kein Beschäftigter mit geringem Einkommen leisten kann.

     

    Ein Beispiel gefällig?

    Ein Freund hat seine Zweiraumwohnung in Schöneberg aufgegeben. Er zahlte all incl. 550 Euro für 60 qm einfacher Standard ohne Fahrstuhl und mit Schimmel an den Wänden. Nach der Kündigung ist sie nun für 860 zu haben. Ein Schnäppchen.

  • P
    Paul

    Bedacht werden sollte allerdings, dass sich ein Hartz-IV-Empfänger, wenn er nicht gerade im Niedriglohnsektor arbeitet und daher ALG II bezieht, ca. 10 Stunden länger jeden Tag in seiner Wohnung aufhält. Eben anstelle einer Arbeitsstelle.

    Er wird also pro Tag auch 10 Stunden länger heizen, um nicht zu frieren.

    Das bedeutet nicht zwingend, dass er die Heizung zu hoch dreht, er hat schlicht einen höheren Zeitbedarf zu heizen.

     

    Nicht mal an einer Glühbirne kann er sich ja noch wärmen, die ist ja auch schon verboten. Mal davon abgesehen, dass er die Stromkosten ohnehin schon komplett aus dem Bedarf trägt, denn Strom muss ein Hartz-IV-Empfänger ja gar nicht haben, das ist über seiner Würde.

     

    (Achtung, dieser Kommentar kann Spuren von Nüssen und Sarkasmus enthalten.)

  • W
    Wüstenratte

    Alle Mitarbeiter der Sozialämter und -gerichte sollten immer in den Monaten Dezember bis Februar das Überleben mit dem HartzIV-Satz üben, damit sie wissen wovon sie quasseln.

  • KF
    Kalter Freitag

    Das Landessozialgericht hat richtig entschieden.

    Die Harzer sollen nicht auf dem Sofa herumlungern, sondern sie sollen sich bewegen!

    18 Grad Celsius in der Wohnung reichen völlig aus.

    Ansonsten kann man sich ja nen Pulli überzehen...

  • S
    Sabine

    Das Landessozialgericht hat unsozial geurteilt.

     

    Überhaupt sind die RichterInnen in Deutschland viel zu elitär und urteilen oft lebensfremd zum Nachteil Armer.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Das ergangene Uretil des Lasndessozialgerichtes im Bezug auf Heizkostenzuschüsse darf kein Bestand haben,Die nächst höchste Instanz sollte angerufen werden.

  • C
    Cometh

    Einfache Lösung:

     

    Sätze, die über dem Durchschnitt liegen oder unrechtmäßig überhöht sind müssen die Regierungsparteien und die Verantwortlichen selbst aus dem eigenen Budget bezahlen.

     

    Das würde ganz schnell zu vernünftigen Regelungen führen, wetten?

  • S
    Sklaventreiber

    Auch wenn ich mich hier ständig wiederhole,

    ------wem gehört die Welt?------

    Wer entscheidet wievielt Arbeit, Freizeit für wen und für wieviel?

     

    Die Wirtschafts- (Weisen) Greisen, Politiker, Banker, Manager, Richter, Heuchler und der "Deutsche Michel" mit seiner verschrobenen moralischen unterwürfigen Einstellung zur Wirtschaftsdiktatur!

     

    Was übrig bleibt ist für euch! Heizkostenpauschale, Ha Ha Ha…

    Und schön im September wieder eure Peiniger wählen, damit ihr euch weiter schämen könnt für Dinge die Ihr nicht verursacht habt!

  • H
    hessebub

    Der Umgang mit den Armen wird bald wieder das Niveau des Dickensschen England ereicht haben.

  • K
    keks

    Das Urteil bzw. den Grund für das Verfahren kenne ich nicht. An den hauptsächlich angeführten Argumenten des LSG ist aber m.E. nichts auszusetzen.

     

    Es geht um die Höhe der Heizkostenzuschüsse im Land Berlin.

     

    Es liegt nur nahe, sich eben an den Verhältnissen in Berlin zu orientieren.

     

    Man stelle sich im Gegenteil vor, dass sich Münchner, Kölner oder Hamburger (Ballungsräume), hinsichtlich z.B. der Mieten, am Bundesdurchschnitt oder vielleicht sogar Berlin orientieren sollten:).

     

    Das man sich am Mittelwert orientieren soll, ist ebenfalls nicht verwerflich.

     

    Es gibt schlimmeres, Berlin hätte sich ja auch an den Werten des Bundeslandes Brandenburg orientieren können oder z.B. Spanien:)

  • G
    Gonzi

    Hatte man nicht im Mietwohnungsbau einen Energiepass von Seiten des Vermieters vorzulegen, so dass klar sein müsste, in welchem Zustand sich die Wohnung energetisch befindet?

  • L
    leser0815

    wofür gehe ich denn noch wählen, wenn jeden tag gerichte über gesetze entscheiden?

    gewaltenteilung hin oder her, aber eine handvoll richter können bestimmungen kippen, die von mehreren hundert abgeordneten vereinbart wurde? komisches system.

    grüße

  • M
    matstaz

    Das ist schon seltsam. Der Berliner Senat setzte als Heizkostenzahlung an H4-Empfänger demnach pauschal das an, was jemand zahlt, der zuviel heizt bzw. dessen Heizkosten "zu hoch" sind? Und als Grund werden die Berliner Altbauten genannt?

     

    Altbauten gibt es doch in ganz Deutschland, wird da auch überall der Satz "zu hoch" vom Staat erstattet? Altbauten sind teilweise doch sogar weniger heizbedürftig, denn die dicken Wände isolieren besser als die dünnen Betonplatten einer Platte. Und es lebt doch wohl kaum jeder H4-Empfänger in Berlin im Altbau?

     

    Von daher kann ich das Gerichtsurteil nachvollziehen. Der Erstattungssatz "hoch" wäre wohl immer noch großzügig.

     

    In Zeiten, wo jeder Arbeitnehmer beim Heizen sparen muss, sollten auch H4-Empfänger die Heizung ein wenig herunterdrehen. Es ist ohnehin eine Unsitte, auch im tiefsten Winter noch im dünnen T-Shirt in der Wohnung zu hocken.

  • OW
    Onkel Willy

    Der Staat hat bei Hartz IV-Empfängern für ein Existensminimum zu Sorgen. Dazu gehört natürlich auch eine vernünftig beheizte Wohnung. Das sich Altbauten oder maroder Wohnungsbestnd nur schlecht erwärmen lassen, dürfte zum Allgemeinwissen zählen. Das ist bei Richtern aber nicht immer der Fall. So der beschriebene Richterspruch. Wer selbst im warmen Nest des Staates sitzt kann gut über angemessene Heizkosten reden. Was ist das für eine Gesellschaft, die soetwas zulässt?

  • SG
    schlimmer geht immer
  • KW
    kälter Wohnen

    ... tja, bei soviel sozialer Kälte in der Berliner Justiz bleibt den Leistungsempfängern irgendwann vielleicht nur noch eins übrig:

     

    Tummo-Meditation

     

    (näheres siehe unter http://de.wikipedia.org/wiki/Tummo)

     

    Die entsprechenden Meditationskurse könnten dann die Berliner Jobcenter finanzieren. :-)

  • P
    pff

    Zu hoch? Mal abgesehen von hohem Altbaubestand und davon, dass Arbeitslose selten in energetisch sanierten Häusern wohnen, wie hoch war doch gleich der Satz für Fahrtkosten? ca. 20,-€? Das reicht nichtmal für fünfmal hin- und zurück fahren, an den anderen Tagen sitzen Arbeitslose dann zuhause und müssen dementsprechend heizen.

  • I
    Icke

    Mhh da entscheidet der BGH das die höhe der Hartzsätze grundgesetzwidrig ist und dann kommt so eine Entscheidnung, es tut mir leid aber mir drängt sich der Verdacht auf das die Entscheidungsträger nicht die leiseste Ahnung von dem haben was sie da tun...