Berliner Pop-Entdeckung Freispiel: Synthieliebe in der Keksfabrik

Stephan Mensger hat als Freispiel das dritte Album „Nonsens Konsens“ veröffentlicht – sein Pop-Entwurf verdient unbedingt mehr Beachtung

Ein Man hält den Hals seiner Bassgitarre vors Gesicht

Stephan Mensger alias Freispiel Foto: Roland Owsnitzki

Schubladen können fiese Dinger sein. Sie können quietschen und klemmen, und steckt man mal in einer drin, kommt nicht so schnell wieder raus.

Stephan Mensger weiß das. In der großen weiten Welt der Popmusik sind sein Name und der seines Soloprojekts Freispiel bislang eine eher unbekannte Größe, und das Schubladenproblem könnte mit schuld sein: „Weil sich die Texte häufig auf einer Metaebene abspielen, werde ich oft in eine Intellektuellen-Schublade gesteckt, in die ich eigentlich gar nicht hineinwill“, sagt Mensger.

Dabei hätte der 41-jährige Multiinstrumentalist, mit dem ich mich zum Interview im Schöneberger Jazzcafé Romantico treffe, eigentlich beste Voraussetzungen, die Musikszene hierzulande aufzumischen. Kluge und doch simple Texte in deutscher Sprache treffen in seinem Sound auf New-Wave-Anleihen – und umtriebig ist Mensger auch: drei Alben hat er innerhalb von drei Jahren aufgenommen.

Das im September erschienene dritte Album, „Nonsens Konsens“, ist der Abschluss einer Trilogie, die sich – will man es auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner bringen – mit den Verwerfungen des digitalen Kapitalismus und der Spaltung der Gesellschaft beschäftigt.

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Auf dem neuen Werk etwa in Songs wie „Traumtanz“, das wie ein Revuestück mit politischem Text daherkommt („Das sogenannte Abendland ist moralisch ausgebrannt“, singt er im Refrain) oder im Kraftwerk-meets-Free-Jazz-artigen Titelstück mit den kryptischeren Zeilen: „Nonsens Konsens / Schicksal oder Zufall/ Sinn oder Glück / Die Zeit lässt uns alle zurück“.

Musikalischer Neustart

Die Texte wirken ähnlich reflektiert wie der Musiker selbst. So ist er sich über sein Standing in der Popwelt im Klaren: „Viele fragen sich, woher dieser No-Name eigentlich plötzlich kommt“, sagt er. Zwar spielte Mensger, ein kommunikativer Typ mit dunklem Haar, Bart und Brille, in der Vergangenheit über die Republik verstreut in mehreren Bands – überregionale Bekanntheit erlangte keine von ihnen. Mit dem Projekt Freispiel legte er vor vier Jahren einen musikalischen Neustart hin.

In „Das alte Lied“ sehnt er eine neue (linke) Erzählung herbei

Musik macht er dabei schon von früh auf. Mensger wächst im rheinhessischen Städtchen Alzey auf („da gibt’s nur Weinberge, sonst nichts“), vom 6. Lebensjahr an nimmt er Klavierunterricht. Seine Eltern beschreibt er als sozialdemokratisch, bildungsbürgerlich, kritisch.

„Bei uns zu Hause lief die gesamte Liedermacher-Abteilung von Hannes Wader über Bob Dylan bis Franz Josef Degenhardt, aber auch klassische Musik: Mozart, Bach, Beethoven.“ Er selbst gründet mit 14 seine erste Band. Mensger spielt Bass, sein damaliger Held ist Paul McCartney.

Im jungen Erwachsenenalter geht er nach Köln, wo er zunächst Zivildienst leistet und im Anschluss Philosophie, Anglistik und Geschichte studiert. Am Rhein kommt er mit dem Indielabel Tumbleweed in Kontakt, er trommelt bei der Band Lornaswes – mit dem Schlagzeug ist inzwischen das nächste Instrument hinzugekommen, das er erlernt hat. In den nuller Jahren zieht es ihn weiter nach Hamburg, wo er jobbt und gemeinsam mit seinem Bruder bei den Guilty Guitars englischsprachigen Indierock spielt.

Nachdem er 2010 mit seiner heutigen Frau nach Berlin gezogen ist, bleibt er der Band noch eine Weile treu, „aber eigentlich war ich gedanklich schon woanders. Als Musiker wollte ich keinen Indierock mehr machen, als Texter störte mich die Limitierung im Englischen. Ich merkte, es gibt viele Dinge, die ich sagen will, aber besser auf Deutsch sagen kann.“

Vertonter Kaurismäki

Also beginnt er 2014 solo herumzuexperimentieren – als Freispiel. „Ich wollte mir selber freies Spiel gewähren“, sagt er zum programmatischen Namen. „Als ich den Synthie angeworfen habe, habe ich gemerkt, wie viel Popmusik in mir steckt und wie viel Pet Shop Boys und anderen Pop ich in den Achtzigern aufgesogen habe. Von Krautrock und Electro war ich sowieso schon immer begeistert – auch das fließt jetzt mehr ein.“

Mit dem Hamburger Label Fidel Bastro, seit Beginn der Neunziger ein wichtiger, oft unterschätzter Player im Underground, findet er ein Label, das bereit ist, drei Alben im Jahrestakt zu veröffentlichen: „Dangerous Eiertanz“ (2016), „Degeneration Deluxe“(2017) und nun eben „Nonsens Konsens“.

Während es auf den ersten Alben zum Teil plakativer zuging („Datenkrakensalat“), ist Mensger heute textlich an einem Punkt, wo er sich eher an die Postpunk-Schule der Achtziger anlehnt. Beispielsweise in „Anti contra versus“, wo er singt: „Ich bin dagegen, ich bin niemals dafür / Ich bin auch gegen die, die dagegen sind / Ich bin dagegen generell und grundsätzlich, aus Prinzip und vorsätzlich.“

Aber es sind auch schöne kleine Erzählungen dabei, etwa von einer Frau, die in einer Glückskeksfabrik arbeitet – eine vertonte Kurzgeschichte wie ein Kaurismäki-Film. Zum Abschluss gibt es mit „Das alte Lied“ dann noch einen (mehr oder weniger) 1:1 lesbaren Text, der wie der fast resignativ vorgetragene Wunsch nach einer neuen (linken) Erzählung klingt: „Das ist das alte Lied / wann werden wir ein neues singen?“, heißt es da.

Über den Song sagt er: „Die politische Linke schläft, sie muss dringend überhaupt mal wieder ein Lied singen. Zurzeit singt sie keines. Wenn hier jemand singt, dann singt die AfD, und dieses Lied wird wahrgenommen.“

Live tritt Mensger fast nie auf. Freispiel soll in erster Linie ein Studioprojekt sein, was „natürlich kommerziell und PR-technisch Selbstmord ist“. Auf der Bühne aber fühle er sich nicht wohl, mehr Spaß mache es ihm, konzeptuell etwas auszuarbeiten. In nächster Zeit muss er aber mit Freispiel etwas kürzer treten, denn aktuell absolviert er eine Umschulung zum Erzieher, und bald stehen Abschlussprüfungen an.

Musikalisch ist „Nonsens Konsens“ ein weiterer Schritt nach vorne. Neben Referenzen wie den Fehlfarben – deren Keyboarder Kurt Dahlke alias Pyrolator wirkt übrigens beim tollen Instrumentalstück „Luna-Park“ mit – fällt die stilistische Breite auf. So klingen etwa Krautrock, Pop, Noise und Free Jazz an.

Das Album überzeugt vor allem an den Stellen, wo es Abbiegungen nimmt, wo es ausfranst und sich ausdehnt (wie eben in „Luna-Park“), wo das Saxofon flottiert und wo dem Synthie-Wahnsinn freier Lauf gelassen wird. In Schubladen lässt sich das dann wirklich nicht mehr stecken.

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