Berliner Polizei und NSU: Türkische Namen für Neonazi-V-Leute
V-Männer mit Kontakten zum NSU sollen von der Berliner Polizei mit türkischen Decknamen geführt worden sein, berichtet die Zeitung Hürriyet.
BERLIN taz/dpa | Ausgerechnet türkische Decknamen soll die Berliner Polizei nach Informationen der Zeitung Hürriyet V-Leuten aus der Neonazi-Szene gegeben haben. So sei der V-Mann Thomas S., der der Polizei zehn Jahre lang Erkenntnisse über die Neonazi-Musikszene geliefert hatte und mit der mutmaßlichen NSU-Terroristin Beate Zschäpe liiert war, unter dem Namen „Ibrahim 562“ geführt worden, berichtet die Europa-Ausgabe von Hürriyet am Mittwoch online unter Berufung auf ein als geheim eingestuftes Papier des Landeskriminalamtes.
Zwei weitere V-Leute hätten die Decknamen „Murat 620“ und „Adnan 672“ verpasst bekommen, ohne dass sie selbst davon gewusst hätten, berichtet die Zeitung. Sowohl Thomas S. alias „Ibrahim“ wie auch die VP 620 alias Murat, deren echten Namen die Polizei geheim hält, hatten laut Hürriyet dem Geheimdossier zufolge Kontakte zu Jan W., der dem NSU-Trio die Waffe besorgt hat. Ob auch die dritte, bislang mit Echtnamen unbekannte VP Adnan 672 Kontakte zu Jan W. hatte, gehe aus dem Dossier nicht hervor, schreibt die Hürriyet.
Die Berliner Polizei wollte den Bericht nicht kommentieren. Man gebe zu geheimen Unterlagen keine Auskünfte, sagte ein Sprecher der Nachrichtenagentur dpa auf Anfrage. Der Berliner Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu äußerte sich dem Zeitungsbericht zufolge "schockiert" und verlangte, die Verantwortlichen vom Dienst zu suspendieren. Die Vorgänge seien "ein weiteres Detail, das das Bild der unsensiblen deutschen Sicherheitsbehörden bestärkt", sagte auch Aziz Bozkurt, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Migration der Berliner SPD.
Hürriyet-Autor Celal Özcan selbst bewertet den Vorgang als „beinahe unglaublich“: „Die deutschen Sicherheitskräfte haben der Serie von Skandalen bei der Aufklärung der Morde der Neonazi-Terrorgruppe NSU einen weiteren hinzugefügt“, schreibt Özcan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione