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Berliner Polizei fragte 13 Funkzellen abHandydaten sollten Zündler überführen

Die Berliner Polizei hat offenbar tausende Handydaten abgefragt, um einen Brandanschlag aufzuklären. Grüne und Piraten reagieren empört.

Funkzellenabfrage: Wer telefonierte wann und wo mit wem? Bild: dpa

BERLIN taz | Die Polizei hat für die Aufklärung von Autobrandstiftungen tausende Handydaten von Berlinern ausgewertet. Das geht aus Ermittlungsakten hervor, die das Blog Netzpolitik.org am Donnerstag veröffentlichte. Nachgewiesen wird dort eine großräumige Funkzellenabfrage in Berlin-Friedrichshain, die Ende 2009 erfolgte. Die Opposition wittert einen Skandal. "Wir fordern vom Innensenator eine lückenlose Aufklärung", so Piraten-Innenexperte Christopher Lauer.

2009 war ein Hochjahr der Autobrände: Rund 400 PKW wurden in Brand gesetzt, viele davon im Friedrichshain. So auch am 24. Oktober 2009: Um 4.17 Uhr brannte ein BMW. Laut den veröffentlichten Akten baten die Ermittler daraufhin um einen richterlichen Beschluss für eine Funkzellenabfrage - den sie am 19. November erhielten.

Bei Abfragen werden Providerdaten für Handynutzungen angefordert: Wer hat mit wem wie lange telefoniert? Auch versendete SMS werden erhoben. Inhalte werden nicht erfasst. 2011 hatte das in Dresden zu einem Skandal geführt: Die taz deckte auf, dass Ermittler nach Anti-Naziprotesten 2011 und einem Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge 2009 mit Funkzellenabfragen hunderttausende Datensätze abgefragt hatten - auch von Anwohnern, Politikern und Journalisten.

Wie viele Personen von der Friedrichshainer Abfrage betroffen waren, ist unklar. Die Akten zeigen, dass "sämtliche Verkehrsdaten" von 13 Mobilfunkzellen abgefragt wurden, die zwischen 3.45 und 5 Uhr anfielen - das dürfte weite Teile des Stadtteils abdecken. Weder Polizei noch Staatsanwalt wollten am Donnerstag Zahlen nennen.

Die Echtheit der Akten bestritt Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft, nicht. "Zu einzelnen Ermittlungsschritten werden wir uns aber nicht äußern." Ein Polizeisprecher sagte, Funkzellenabfragen seien laut Strafprozessordnung auch bei Autobränden "eine rechtlich zulässige Maßnahme". Seien diese in Berlin erfolgt, habe es stets einen richterlichen Beschluss gegeben.

Bei schweren Straftaten "üblich"

Bereits im Juni 2011 hatte die Polizei auf taz-Anfrage die Anwendung von Funkzellenabfragen in Berlin als "ultima ratio" eingeräumt. Bei Straftaten auf "politischen Veranstaltungen und Demonstrationen" seien diese aber nicht erfolgt.

Die Abfragen sind bei "schweren Straftaten" rechtmäßig und üblich. Die Strafprozessordnung fasst darunter Mord, Raub, aber auch Brandstiftung. Darauf berief sich der zuständige Richter im Fall Friedrichshain. "Die Erforschung des Sachverhalts wäre auf andere Weise als durch die Übermittlung der Daten wesentlich erschwert", schrieb er.

Piraten und Grüne kritisieren die Funkzellenabfrage als überzogen. Bei Autobrandstiftungen könne nicht von schwersten Straftaten die Rede sein, sagte Pirat Lauer. "Sollte sich das bewahrheiten, hätten wir es mit einem massiven Eingriff in die Grundrechte der Berliner zu tun."

Für Grünen-Innenexperte Benedikt Lux zeigt das Vorgehen, wie hoch der Druck auf die Polizei wegen der Brände sei. Er kritisiert: "Bei Funkzellenabfragen werden immer unbeteiligte Dritte betroffen." Beide Fraktionen wollen den Fall am Montag zum Thema im Innenausschuss machen. Sie vermuten, dass diese Abfragen durchaus öfter angewendet wurde. Denn Autos brannten auch noch nach Oktober 2009 - allein im letzten Jahr 757 mal.

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15 Kommentare

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  • H
    hans

    Bei 757 Autos kommt wohl ein Schaden im zweistelligen Millionenbereich zustande.

    Dazu kommen noch die enormen Mengen an Schadstoffen, Dioxin nur ein Beispiel, die beim Abbrennen freigesetzt werden.

    Das kann man wohl nicht mehr unter Kavaliersdelikt zählen lassen.

     

    Dass da dann mal Handydaten ausgewertet werden, tolerieren Sie wohl dann erst, wenn Ihr teilkaskoversicherter Opel oder VW (zu etwa 25% betroffen nach http://www.brennende-autos.de) mal dran ist und Ihnen Ihre Versicherung den Stinkefinger zeigt.

  • A
    aso

    Dem Kommentar-Schreiber Arno Besendonk sollte man auch mal sein Auto "abfackeln", damit er wieder auf den Teppich kommt. Unglaublich, was hier einige von sich geben. Wenn jeder, der von irgendwas gefrustet ist, einfach irgendwelche Autos "abfackeln" würde, stünde bald die ganze Welt in Flammen. Hölle nennt man sowas. Nein danke.

  • A
    AK-Vorrat-Mitglied

    Stefan: Dein Vergleich hinkt. Natürlich gibt es bei einer Alkoholkontrolle einen Verdacht, dass der Fahrer alkoholisiert ist. Und bei den anderen Insassen wird keiner gemacht.

     

    Der Vergleich wäre eher korrekt, wenn man von allen Leuten auf der Autobahn einen Alkoholtest macht, weil einer davon besoffen ist.

  • H
    Hans

    @Arno Besendonk:

    ...und noch ein unqualifizierter Kommentar.

    Zudem möchte ich darauf hinweisen, dass dies einen indirekten Aufruf zu einer Straftat darstellt oder noch schlimmer: Meinung; und wir wissen ja, was man über Meinungen sagt...

  • V
    vantast

    Die Netzverbindung eines Telefons soll irgendwie Beweise erbringen? Wie das??

  • N
    Nemo2011

    Ja, ich meine, dass die Polizei damit die Täter beleidigt hat. Keiner ist so blöde, und nimmt sein Handy bei so einer Aktion mit. Vielleicht steckt da in Wahrheit eine ganz andere Sauerei hinter und die Brandstifter sind nur ein Vorwand.

  • S
    Stefan

    "Grüne und Piraten reagieren empört". Na was denn sonst? Mehr und vor allem konstruktiveres fällt den Berufsempörten ja auch nicht ein. Ich finde das cool, was die Polizei da macht.

  • H
    Hans

    @19.01.2012 21:55 Uhr von Stefan:

    Mit Ihrer Einleitung haben Sie sich bereits als Troll disqualifiziert (ich empfehle Ihnen die Kommentarseite von Bild.de)! Der Vergleich ist nicht mal mehr als hinkend, sonder vielleicht schon beinlos zu bezeichnen.

     

    Es geht hier einerseits um die Verhältnismäßigkeit (sollte nur bei schwersten Straftaten angewandt werden), wie auch im Artikel beschrieben. Daraus ergibt sich auch die Frage nach der Rechtsstaatlichkeit.

     

    Diese Mittel dienen doch primär anderen Zwecken und die besagte Straftaat bzw. der Paragraph §100g Absatz 1 wird hier völlig wahllos reingeworfen, da man es nicht anders begründen kann, als mit Terroristischen Vereinigungen. Wie sich übrigens in der Aufklärungsstatistik zeigt, sind die meisten Autoanzünder gelangweilte Spacken ohne politischen Bezug.

  • AB
    Arno Besendonk

    Das die Piraten spinnen ist bei denen ja Programm. Aber den Grünen sollte man mal die Dienstwagen abfackeln, damit Sie wieder auf den Teppich kommen!

  • SS
    stefan seither

    Danke, taz, daß ihr davon berichtet.

     

    Das zeigt wieder mal, daß man dem Staat nur mißtrauen muß.

     

    Ich schalte mein Handy ganz oft aus.

  • KK
    Kalle Klunker

    Jajaja... Die Stasi ist böse usw. und die Links"extremisten" haben schon die Weimarer Republik kaputt gemacht... wir wissen Bescheid!

     

    Was muss eigentlich noch passieren, bis die Leute mal aufwachen? Speicherung der DNA nach der Geburt? Vollüberwachung 24/7?

     

    Es ist angesichts der Probleme auf dieser Welt in besonderer Weise absurd! Sind denn Links"extremisten" oder Islamisten wirklich das Problem? Oder knallts viel mehr an allen Ecken und Enden, weil der liebe Herr Marx recht hatte mit seine Prognose bezüglich der Marktwirtschaft?!

     

    Dämliche Aktionen, mit denen sich die Staatsmacht VORALLEM ins eigene Fleisch schneidet.

  • S
    Stefan

    Ja, liebe Ökos und Freibeuter, bei Zellenabfragen zur Ermittlung von Tätern sind auch immer unbeteiligte Dritte betroffen. Würde man solche Fahndungsmaßnahmen nur auf Täter begrenzen, dann bräuchte man sie nicht. Logisch, oder?

    Bei Alkoholkontrollen dürfen nur noch nachweislich Alkoholisierte angehalten werden. Verdächtige dürfen nur noch befragt werden, wenn ihre Schuld einwandfrei feststeht.

    Schöne neue Welt.

    Gibt es eigentlich konstruktive Vorschläge, wie man die kreativen Fumal-Künstler ermitteln könnte?

  • HH
    Hans Höfer

    Glaubte die Polizei tatsächlich, die Täter versetzten ihre Mobiltelephone beim brandschatzen nicht in den Fluchtbetrieb (= "Flight Mode")?

  • SG
    Stephan Goedecke

    "Dürften weite Teile des Stadtgebiets abdecken". Das halte ich für technisch sehr fragwürdig. Unter nobbi.com gibt es eine Liste mit Funkzellen (Betreiber o2) im Großraum Karlsruhe, die privat erfasst wurde und gepflegt wird. Da dürften einige Zellen fehlen, weil sie eben niemand erfasst hat, weil zu klein oder zu abgelegen.

     

    In Karlsruhe selbst listet die Webseite schon 40 verschiedene Zellen, das sind tatsächlich wohl eher noch mehr. Die 13 Funkzellen sind in Berlin maximal ein Viertel oder ein Bezirk. Gerade in den Städten wird die maximale theoretische Zellgröße nicht auch nur annähernd erreicht, weil sonst viel zu viele Menschen in einer Zelle eingebucht wären und die überhaupt nicht telefonieren könnten...

  • G
    Gerald

    Als Ergänzung zum Artikel:

     

    Es wird nicht nur abgefragt, wer wann wo mit wem telefoniert hat, sondern auch, welches Handy wann an welchem nächstliegenden Verbindungsknoten angemeldet war.

     

    LG

     

    Gerald