Berliner Platten : And One versetzen uns wieder in die 80er-Jahre, Camouflage sind ins Alter gekommene traurige Jungs, und Zeraphine machen weiterhin Düsterrock
Unüberhörbar ist, in welchem Jahrzehnt And One gern ihre wilden Jahre verbracht hätten. Auch auf „Bodypop“, ihrem mittlerweile schon neunten Album, tröpfeln die Sequenzer wieder verträumt und klingeln die klassischen Synthesizerklänge, als befänden wir uns mitten in den Achtzigern. Damals war es, als die elektronische Klangerzeugung sich aus den Windeln befreite, als Depeche Mode, Yazoo oder OMD die Charts stürmten mit – für die Zeiten – seltsamen Tönen aus den Schaltkreisen.
Vor allem Depeche Mode und deren melancholische Maschinensounds haben es dem Berliner Trio angetan, nicht zuletzt gibt And-One-Chef Steve Naghavi einen Auftritt der Szenestars als prägenden Einfluss an. Doch während die zumindest in den Hintergrundgeräuschen ihrer Hits noch den Mülltonnensound der Avantgarde adaptierten oder auch mal ein kreischendes Gitarrensample einbauen, lassen And One ihre Synthies vergleichsweise schlicht daher tuckern: Ganz sauber klingt das, ohne die störenden Geräusche echter Instrumente, wie eine jugendfreie Ausgabe von Kraftwerk. Andererseits aber ist es auch so flott und eingängig, dass sich trotz arg pathetischer Texte (mal in Deutsch, mal in Englisch) dazu prima das Tanzbein im Linientreu wird schwenken lassen. Die Disco am Breitscheidplatz hat ihre besten Tage gesehen, als Andrew Eldritch zumindest noch den Eindruck zu erwecken verstand, er könnte mal einen neuen Song herausbringen. Fast so lange dabei wie dessen Sisters of Mercy sind mittlerweile auch Camouflage. Die drei begannen bereits im Jahr 1983 als Schüler im heimatlichen Schwabenland an Synthesizern herumzuschrauben und hatten ihren ersten Hit noch vor dem Abitur. Zwischenzeitlich hatte man sich aufgelöst und ist nach Berlin gezogen. Nun, auf „Relocated“, darf man ein gewisse altersmilde Selbstzufriedenheit hören, die dem von ihnen bekannten Electro-Pop schlussendlich aber nichts Neues hinzufügt: Traurige Jungs, die verträumt an den Knöpfchen ihrer Maschinen drehen, bleiben halt auch im fortgeschrittenen Alter traurige Jungs, die nun aber an professioneller klingenden Maschinen drehen. Das Ergebnis ist mal tanzbar, mal entspannt, aber stets zum Pathos neigend.
Eine ähnlich getragene Stimmung lässt sich natürlich auch in vergleichsweise traditioneller Besetzung erzeugen. Bei Zeraphine findet sich nur bisweilen ein wenig elektronisches Beiwerk, meistens brettern die Gitarren, begeistert von der eigenen Verzerrung, alles zu. „Still“, das neue Album, ist ein sattes Stück Düsterrock, das zu keinem Moment verleugnet, dass sich Sänger Sven Friedrich und Gitarrist Norman Selbig bei der aufgelösten Berliner Gothic-Institution Dreadful Shadows den schwarz schillernden Kajal-Streifen am Band verdienten. Mit Zeraphine finden sie zielsicher den wunden Punkt, an dem Romantik in Kitsch umkippt und die pubertierende Seele glaubt, das Leid der Welt tragen zu müssen. „Was ist schon der Glaube?“, fragt Friedrich düster dräuend singend, „ist nicht alles nur Schall?“ Ja, das ist wohl wahr. Nur mancher hört sich besser an als anderer. THOMAS WINKLER