piwik no script img

Archiv-Artikel

Berliner Platten Das Konzept von Knorkator läuft sich tot, und Mignon beutet den Rock ’n’ Roll kommerziell aus

Ob Knorkator immer noch ihre legendäre Kloschüssel auf die Bühne schaffen? Ansonsten aber ist alles beim Alten, auch auf ihrem neuen, nun schon neunten Album. Das merkt man schon am li-la-lustigen Titel: „Das nächste Album aller Zeiten“. Auch musikalisch setzen Alf Ator und Konsorten auf Bewährtes, nämlich die von ihnen gewohnte Breitseite aus Comic-haftem Operngeträller, von Rammstein geklauten Schwermetall-Gitarren und nur im absoluten Notfall hintergründigen Humor.

Sänger Stumpen kreischt, jodelt und spuckt immer noch, Gitarrist Buzz Dee wäre immer noch am liebsten bei Black Sabbath, Keyboarder Alf Ator dudelt wie beim letzten Gottesdienst und pflegt als Texter seine kindliche Freude an Fremdwörtern und verschlungenen Formulierungen, die zwanghaft versuchen, zugleich schlau und prollig zu sein. Diesmal im philosophischen Kurzwarenangebot: Knallharte Kapitalismuskritik in „Eigentum“, Sexismusparodie in „Nur mal angenommen“ und in „Lied vom Pferd“ schlüpft Stumpen in den Körper eines pubertierenden Mädchens. Im Unterschied zu früher haben sie den Fäkalhumor entscheidend zurückgefahren.

Das alles ist ja durchaus gut gemeint, musikalisch meist auch gut gemacht und bisweilen sogar überanspruchsvoll, aber hat ein großes Problem: So wie jeder Witz am besten nur einmal erzählt werden sollte, so läuft sich auch das Konzept von Knorkator langsam, aber sicher tot. Aber das wissen sie ja selbst, glaubt man ihrer tröstenden Mitteilung: „Wir werden alle sterben, haltet euch bereit.“

Auch nicht gerade als Freundin von Zwischentönen präsentiert sich Mignon auf ihrem ersten Album „Bad, Evil, Wicked & Mean“. Kein Wunder bei der Gesellschaft: Behilflich waren neben Lady Miss Kier und Thomas Wydler von den Bad Seeds vor allem die kanadische Exilgemeinde um Gonzalez, Taylor Savvy und Peaches. Die Mutter des sexuell aufgeladenen Electro-Clashs wird als Patentante adoptiert, und zusammen singen die beiden den Song „Bad Girl“, natürlich: Denn merke, liebe Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen überall hin.

Zum Einsatz kommt zudem ausführlich die unverwüstliche Rhythmusmaschine Roland 303. Über deren stumpfes Blubbern sägen nun fies verzerrte Gitarren, während Mignon in Erscheinung und gesanglichem Ausdruck die Palette zwischen Femme Fatale und Punkschlampe abdeckt. Es ist, kurz gesagt, eine weitere Version des allseits beliebten Electropunk. Der nimmt langsam überhand, vor allem wenn man bedenkt, dass das Modell von Suicide und später Alan Vega auf seinen Soloplatten schon vor mehr als zwei Jahrzehnten entwickelt wurde. Doch während sich Vega bis heute keinen vernünftigen Zahnarzt leisten kann, scheint seine Idee von Rock ’n’ Roll zum Allgemeingut zu werden. Die ausgebildete Modedesignerin Mignon hat das Aussehen, den Willen zur Eingängigkeit, genug Haarspray und ausreichend Lack und Leder auf dem Körper, um diejenige sein zu können, die das Genre endlich kommerziell ausbeutet.

THOMAS WINKLER

Mignon: „Bad, Evil, Wicked & Mean“ (Bad Girls Records/Hausmusik)

Knorkator: „Das nächste Album aller Zeiten“ (Nuclear Blast/Warner)