Berliner Plate : Musikalisch abwechslungsreiche Stücke und aufs Gerippe reduzierte Coverversionen
Jetzt ist es also offiziell. Tomte haben sich nun auch ihren ersten Epigonen verdient. Wahrscheinlich tut man Mobilé damit zwar Unrecht, weil „Kartographie“ bereits ihr zweites Album ist und das Debüt schon im Jahre 2003 erschien, als Tomte noch kaum mehr als eine mittelprächtige Irgendwiepunkband waren. Aber egal: Auch bei dem Quartett aus Berlin finden sich das ekstatische Schrammeln mit Steigerungsgesang bis zum überbordenden Pathos, und wie Thees Uhlmann kultiviert auch Mobilé-Sänger und -Songschreiber Peer Möbel einen nahezu filterlosen Übergang von privater zu öffentlicher Person, von gefühlt zu getextet. Dabei verzichtet er auf ironischen Abstand und liefert sich so relativ schutzlos seinen zynischen Kritikern aus: „Ich werde trotzdem deine Socken tragen“, lässt Möbel uns wissen, macht sich weiter Gedanken über „die Bedeutung eines neuen Haarschnitts“, bringt schließlich „einen Toast aus auf die Teller und Gläser“ und – nicht zuletzt – auf „den löslichen Kaffee“. Der Alltag ist ein Abenteuer, die Liebe ein ausführlich zu feiernder Ausnahmezustand, und die Entäußerung wird zum Stilprinzip. Aber natürlich ist nicht alles Tomte bei Mobilé, vor allem das Cello, das geschmacksicher durch manches Stück mäandert und dem flotten Indie-Poprock eine sehr schöne melancholische Note hinzufügt. Geschmäcklerisch könnte man anmerken, dass Mobilé weniger britisch, eher amerikanisiert klingen. Aber solche Distinktionen erübrigen sich, denn grundsätzlich ist „Kartographie“ vor allem ein musikalisch unverschämt abwechslungsreiches Album, voller großer Melodien und kaum weniger kleinen Gefühlen, ein Hoffnungsschimmer im zunehmend grauer werdenden Deutschpopeinheitsbrei.
Noch mal ein wenig weiter zurück orientiert haben sich Valdez. Hört man „The Return of Jimmy“, könnte man mitunter meinen, kein Jimmy wäre – wie es der Albumtitel verspricht – zurückgekehrt nach Berlin, sondern ein David. Denn an den sehr jungen Bowie aus Ziggy-Stardust-Zeiten gemahnt eine der Stimmen auf diesem Album. Ist es Thomas Meyer oder Alexander Barta? Die beiden sind auf jeden Fall Valdez, haben ihre Brötchen bislang mit Filmmusiken verdient, und ihnen ist etwas ganz Erstaunliches gelungen: Nur mit akustischen Gitarren, selten ergänzt von Bass, E-Gitarre oder Synthesizer, verlieren sie sich nicht etwa in königlicher Bequemlichkeit oder huldigen dem Süßholz. Stattdessen erforschen sie die amerikanischen Weiten ebenso wie den Glam-Rock oder auch den Folk: Diese Genres werden, schon notgedrungen aufgrund der Besetzung, aufs Gerippe reduziert, ohne allerdings ihren Reiz zu verlieren. Besonders gelungen sind die Coverversionen, weil sie gänzlich neue Seiten aus altbekannten Songs herausarbeiten: Die Prince-Schnulze „Purple Rain“ wird quasi zum Stillstand gebracht, „Pet Semetary“ von den Ramones entwickelt ungeahnte Qualitäten als Americana-Epos. Aber wie gut „The Return of Jimmy“ ist, erkennt man daran, dass die Eigenkompositionen im Vergleich trotzdem nicht abfallen. THOMAS WINKLER