Berliner Ökonomie: Nach Leipzig und zurück – der Scheidung wegen
In guten Händen
Es gebe einen wundersamen Zug, sagte mein Freund am Telefon, der direkt zwischen Berlin und Leipzig fahre, und nur halb so viel koste wie die Bundesbahn. Er habe das aus dem Internet gezogen. 17.03 Uhr, Berlin-Lichtenberg. Man könne die Fahrkarte ohne Zuschlag im Zug kaufen, sagte er.
Der Zug ist pünktlich. Er sieht hübsch aus, einem ICE ähnlich. Allein: Seine Türhöhe passt dem DB-Bahnsteig nicht genau. Die lieben Passagiere müssen einen um zwanzig Zentimeter größeren Schritt machen. Darauf macht uns bei jeder Station die Durchsage aufmerksam. Innen stehen Flugzeugsitze aus der Businessclass. Der Rücken, die Lehne und die Kopfstütze sind verstellbar.
Der Schaffner kommt. Anderthalbmal Leipzig, sage ich. Er schaut den Hund an, er lächelt. Ob ich in Berlin U-Bahn gefahren sei, fragt er. Ich gebe ihm verdutzt meine U-Bahn-Karte in die Hand. Er betrachtet sie, bewegt seine Lippen. Siebzehnvierzig, sagt er, mit Hund. Er hat den Preis der Stadtfahrt abgezogen. Ob ich einen kleinen Imbiss möchte, fragt er, oder ein Getränk. Nein, danke. Der Service in den Zügen ist mir zu teuer. Die Dame neben mir bestellt etwas. Der junge Mann bedankt sich für die Bestellung, eilt in die Teeküche, bereitet alles vor. Er balanciert die Getränke auf einem Tablett zurück. Er tut es sichtbar gerne. Eine Cola und ein Tee, sagt er. Was zahle ich?, fragt die Frau. Zwei Euro, sagt der Mann. Wie viel? Zwei Euro. Dafür kriegst du nicht einmal aus dem Automaten etwas. Wovon leben sie, die Betreiber dieses Zuges? Oder andersherum: Was macht die Deutsche Bahn mit ihrem Überschuss?
Wir sitzen in der Leipziger Wohnung mit meinem Freund und mit den WG-Leuten am Küchentisch. Ob jemand schon so eine Gerichtsverhandlung erlebt habe, frage ich die Runde. Ich hätte Bammel davor. Katie hat mal Jura studiert. Sie meint, dass das Ganze halb so schlimm sei. Bei den modernen Scheidungen werde die Schuldfrage nicht mehr gestellt. Bei gegenseitigem Einvernehmen … Ob Conni auch so eine moderne Scheidung wolle, frage ich mich laut. Rede doch mit ihr, sagen die Leute. Ruf sie an! Warum rufst du sie jetzt nicht an? Das sei es ja, sage ich. Daran ging unsere Ehe kaputt. Wir hätten uns über wichtige Sachen nie unterhalten.
Conni sitzt bereits vor dem Gerichtssaal, als ich ankomme. Sie sieht verdammt gut aus. Tja, sie ist jetzt in guten Händen, denke ich bitter. Wie lange so ’ne Verhandlung dauere, setze ich vorsichtig an. Es gäbe nicht viel zu klären, sagt sie. Keine Vermögensfragen, kein gemeinsames Kind …
Die Richterin redet nicht zu uns. Beziehungsweise sie redet zu uns, spricht aber in ihr Diktiergerät. Wir möchten bitte laut und deutlich antworten, ob wir uns scheiden lassen wollen. Ja und ja. Déjà-vu. Conni macht ein Gesicht wie beim Zahnarzt, meins wird auch nicht viel anders sein. Nur die Anwältin sitzt gelangweilt da. Sie trägt wahrhaftig eine Robe. Ich dachte, das sei nur im Film so. Die Richterin liest jetzt Zahlen aus der Akte vor. Irgendwas mit Rentenanspruch und Einkommensverhältnissen. Ost und West würden sich irgendwann ausgleichen, sagt sie. Bei eins Komma dreiundfünfzig oder so ähnlich. Sie schaltet ihr Gerät aus, schaut uns tröstend an. Es sei eine höchst komplizierte Berechnung, sagt sie, schwer zu verstehen. Sie stimme aber, versichert sie. Nun müssen wir aufstehen, sie spricht ihr Urteil. Ob noch etwas zu klären sei, fragt sie. Nein, sagen wir erschrocken, wie aus einem Munde. Wir dürfen gehen. In gegenseitigem Einvernehmen. Auf der Straße verabschiedet sich Connis Anwältin. Kommen Sie gut nach Berlin, sagt sie, Sie trägt wieder Jeans und T-Shirt. Ich will nicht diesen Sonderzug nehmen. Er fährt erst morgen Früh, und ich will jetzt gleich nach Hause, koste es,was es wolle. Um meine Wunden sauber zu lecken und mich dabei voll laufen zu lassen. Der nächste Zug fährt um 17.10 Uhr. Den muss ich wohl sausen lassen. Die Schlange vorm Ticketschalter ist zu lang dafür. Ich möchte bitte den nächsten Zug nach Berlin, sagte ich der Beamtin. Einmal Erwachsener, einmal Hund. Sie tippt. Wohin denn in Berlin? Egal, sage ich, Ostbahnhof oder Zoo oder Wannsee. Ich müsse mich schon genauer ausdrücken, sagt sie. Schließlich müsse sie das dann eingeben. Egal, sage ich, machen Sie bitte Bahnhof Zoo. Sie meinen Berlin-Stadtbahn? Ja, sage ich, Berlin-Stadtbahn. Bitte. 18.24 Uhr, sagt sie. Zweimal umsteigen. 26 Euro. Und der Hund? Was für’n Hund, fragt sie. Ich halte die Leine hoch. Pajtásch fängt am anderen Ende zu wedeln an. Sie runzelt die Stirn. Sie hackt auf ihren Computer ein. Dann löscht sie alles wieder, und hackt weiter. Er fahre immer unter „Kind“, sage ich vorsichtig. Sie müsste nur „Kind“ eingeben. Sie verzieht das Gesicht, sie denkt, ich mache Witze. Im Ernst, sage ich. Halber Fahrpreis …
„Mor-diiinaa!“ ruft sie in breitem Sächsisch, „wo ist hier ‚Hund‘ drin?“ Martina kommt und zeigt es ihr. Ich bekomme die zweite Karte, wo „Kind“ draufsteht. 13 Euro. 39 zusammen. Ich gebe 40. Danke, sage ich, es stimme so …
Die Zugtür und der Bahnsteig passen zueinander. Zentimetergenau. GEORG PELLE
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