Berliner Nahverkehrschaos: Bahn spricht Deutsch
Touristen beklagen fehlende mehrsprachige Informationen über Fahrpläne durchs Chaos. S-Bahn will mehr sprachtalentiertes Personal auf die Bahnsteige schicken.
Natalie, Caroline und Nele aus Belgien stehen Mittwochmittag vor dem geschlossenen S-Bahnsteig am Bahnhof Friedrichstraße. Die Fahrgastinformation, Hinweise auf den Ersatzbusverkehr und die Regionalfahrpläne sind alle deutschsprachig. Damit können die drei Studentinnen nichts anfangen. "Die Service-Kräfte der S-Bahn verstehen uns nicht, sprechen oft kein Englisch", sagt die 21-jährige Natalie. Ihre Freundin bemängelt: "Es gibt keine englischsprachigen Informationen über Alternativen wie Busse oder U-Bahnen, die Aushänge sind nur auf Deutsch." Auf dem Weg zum Holocaust-Mahnmal fuhren die drei vom Kurfürstendamm zunächst mit der U-Bahn zur Yorkstraße und stiegen dann in die S-Bahn in Richtung Potsdamer Platz. Weitergeholfen habe ihnen auf dem Bahnhof Potsdamer Platz aber niemand, keine Service-Kräfte vor Ort. Jetzt sind sie am Bahnhof Friedrichstraße angekommen, laufen ratlos zum Service Point und fragen den Bahnangestellten nach dem Weg. "Platform one, any train" erwidert der harsch.
So wie den dreien geht es zur Zeit vielen Touristen in Berlin. Die Beschwerden über fehlende englischsprachige Informationen auf den Bahnhöfen häufen sich. Auch VBB-Chef Hans-Werner Franz forderte schon, dass die Durchsagen und Aushänge für die ausländischen Gäste zu verstehen sein müssten. Seit Montag fahren zwischen Ostbahnhof und Zoo, einer von Touristen viel genutzten Strecke, keine S-Bahnen mehr und das mindestens drei Wochen lang. Andere Strecken werden nur teilweise bedient. Als Alternativen hat die Deutsche Bahn Regionalzüge auf der Stadtbahn eingesetzt, die aber nicht an allen Stationen halten. Die BVG setzt verstärkt Busse, Trams und U-Bahnen ein.
Die Deutsche Bahn hat Angaben des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) zu aktuellen Zahlen von S-Bahn-Fahrgästen zurückgewiesen. Nach VBB-Darstellung hat die S-Bahn täglich 400.000 Kunden verloren, rund 44 Prozent.
Die S-Bahn geht davon aus, seit Montag maximal ein Drittel weniger Fahrgäste zu befördern.
S-Bahn-Pressesprecher Burkhard Ahlert gibt zu, dass die Informationen für Touristen noch verbessert werden müssen. "Aber die meisten Ansagen auf den Bahnhöfen sind schon auf Deutsch und Englisch", relativiert er die Kritik. Zudem würde spätestens ab Freitag auf den Bahnhöfen ein dreisprachiger Flyer ausliegen, der die Touristen auf Deutsch, Englisch und Polnisch über die aktuellen Fahrpläne informieren soll.
Auch personell wird aufgerüstet: Ab Freitag setzt die S-Bahn vor allem am bei Touristen beliebten Hauptbahnhof zusätzliche Service-Kräfte ein, die des Englischen mächtig sein sollen, sagt Ahlert. Zurzeit befänden sich 75 "Service-Kräfte" auf den Bahnhöfen, bis Anfang August soll die Anzahl auf 120 aufgestockt werden. "Es gehen auch viele Lokführer in den Service", so der S-Bahnsprecher. Die haben ja gerade nicht so viel zu tun.
Zeit haben auch Barbara und Paolo Colombo aus Mailand. Die beiden lassen sich vom S-Bahn-Chaos nicht aus der Ruhe bringen. Es ist ihr dritter von fünf Tagen Stadturlaub in Berlin. Auf dem Regionalbahnsteig am Bahnhof Friedrichstraße warten sie jetzt auf ihre Bahn in Richtung Potsdam. "Es fährt doch alles hier, für mich ist das kein Chaos", sagt der 46-jährige Paolo Colombo. Seine Frau Barbara Colombo meint: "In Italien, da ist es viel schlimmer als in Berlin".
Touristin aus Belgien
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind