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Berliner Linkspartei-Chef über Israel-Kritik"Die Grenze überschritten"

Klaus Lederer, Linkspartei-Chef in Berlin, kritisiert antiisraelische Neigungen in seiner Partei. Und er warnt davor wie die Union gleich von Antisemitismus zu sprechen.

"Es ist bei manchen in der Linken eine Obsession, Menschenrechtsverletzungen in Israel zu kritisieren, und anderswo nicht." Bild: rtr
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Herr Lederer, ist die Linkspartei unaufhaltsam auf dem Weg, eine antisemitische Partei zu werden, wie es die Autoren Samuel Salzborn und Sebastian Voigt in einem Thesenpapier behaupten?

Klaus Lederer: Das ist Quatsch. Antisemitismus ist ein Problem der gesamten Gesellschaft - kein besonderes der Linken.

Die Union hält diese Thesen für so bedeutend, dass sie sogar im Bundestag darüber debattiert hat.

Bild: dpa
Im Interview: 

KLAUS LEDERER, 37, Jurist, ist seit 2005 Berliner Landesvorsitzender der Linkspartei. Seit 2003 sitzt er als Abgeordneter im Berliner Landesparlament. Dort ist er rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion.

Das soll die Partei Die Linke als Ganzes treffen. Ich halte nichts davon, Antisemitismus für Parteienstreit zu instrumentalisieren. Es bringt auch nichts, wie es die Union tut, das Verhältnis zu Israel und Antisemitismus in einen Topf zu werfen. Und ich denke, viele Mitglieder jüdischer Gemeinden in Deutschland wissen, auf wen sie sich verlassen können, wenn es darum geht, Nazis oder Geschichtsrelativismus entgegenzutreten - auf uns.

Also hat die Linkspartei gar kein Problem mit Antisemitismus?

Doch, wir sind ja Teil dieser Gesellschaft. Wo etwa Boykottaufrufe gegen israelische Waren erhoben werden, ist die Gefahr groß, antisemitische Muster zu bedienen.

In Bremen will sich die Linkspartei nicht von einer Aktion distanzieren, die zum Boykott israelischer Waren aufruft. Sie unterstützt diese Aktion nicht, hält sie aber für ein legitimes Mittel. Berührt das Antisemitismus, weil es die Assoziation "Kauft nicht bei Juden" aufruft?

Die Bremer Genossen haben zumindest sehr viel Mühe, zu erklären, warum dieser Boykottaufruf nicht antisemitisch sei und wo die Grenze genau verläuft. Damit sitzt man in der Falle. Die ganze Debatte ist zu stark von Projektionen geprägt und zu wenig von der Kenntnis des Konflikts selbst. Es ist bei manchen in der Linken eine Obsession, Menschenrechtsverletzungen in Israel zu kritisieren, und anderswo nicht. Die Hamas wird da schnell vergessen.

Bei der Linksparteipolitikerin Christine Buchholz, die zu der trotzkistischen Gruppe Marx 21 gehört, klingt die Kritik an der Hamas ganz sanft, an Israel immer hart. Ist das nur einseitig und überzogen, - oder bedient dies antisemitische Klischees?

Man muss mit dem Begriff Antisemitismus vorsichtig sein, oft geht er an der Sache vorbei. Lieber mehr Zwischentöne als Schwarz-Weiß. Aber wenn Bundestagsabgeordnete einen Schal tragen, der den Nahen Osten ohne Israel zeigt...

...wie die Linke Inge Höger...

.. oder kritiklos Organisationen wie die Hamas loben, dann muss die Partei Die Linke klar sagen: Das geht nicht, hier ist die Grenze überschritten. Also: Wir müssen diese Debatte wirklich führen - aber wer einfach nur "Antisemitismus" brüllt, verhindert genau diese Diskussion.

Die Union und FDP fordern, das die Linkspartei ihr Verhältnis zu Israel klären muss. Muss sie?

Durch Auschwitz wurde Israel zur Notwendigkeit. Ohne die Shoa zu bedenken, kann keine emanzipatorische Position zum Nahostkonflikt bestehen. Schon die Behauptung, man dürfe Israel nicht kritisieren, ist schlicht dummes Zeug und Ressentiment. Ich wünschte mir, dass dies die Haltung der ganzen Partei wäre. Eine besinnungslose Identifikation mit israelischer Regierungspolitik, wie sie die Union einfordert, ist aber genauso kurzsichtig wie die blinde Identifikation mit den Akteuren auf palästinensischer Seite. Darum kann es nicht gehen.

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8 Kommentare

 / 
  • FA
    Frau Andrée Mergen

    Ich bin selber eine Jüdin. Meine Mutter stammte aus Kischiniev und hat in Frankreich Medizin studiert. Sie erzähle mir, dass sie friedlich mit Palästinenser zusammen gelebt hat.

    Als der Krieg ausbrach, konnte sie nicht mehr nach Hause fahren. Sie kämpfte in der Ressistanz gegen den Faschismus.

    Tanten von mir leben in Israel. Und ich habe sie dort besucht.

    Trotzdem lasse ich mir kein Maulkorb verpassen. Ich werde immer dagegen auftreten, wenn man Juden beschimpft und anderes.

    Aber: Die israelische Regierung ist für mich verbrecherisch. (Die Hamas auch) Wenn man Hilfsaktionen von Europa für die Palästinenser, die in Lagern hausen organisiert, dann haben diese Organisatoren meine Sympathie und Unterstützung.

    Nur weil Andersdenkende uns Linke als Anti – Semiten benennen, müssen wir doch nicht von unsere Meinung zurück treten.

     

    Im Übrigen, wenn Ausländer alle Deutschen als Nazis und Faschisten beschimpfen, trete ich auch dagegen auf. Aber die Regierung unter Hitler war verbrecherisch, war faschistisch und Nazis. Es gab genügend Deutsche, die da mit gemacht haben.

    Aber: Es gab auch genügend Deutsche, die gegen den Faschismus gekämpft haben und dafür in den KZ gekommen sind. Zwei davon waren zum Beispiel mein Stiefvater und mein Schwiegervater. Ich kenne noch viele andere.

  • DS
    Der Sizilianer

    @oswald

     

    Sehr richtig: Alle MENSCHEN haben eigentlich das Recht, in Frieden (und Freiheit) zu leben - und gerade deswegen muss man einen "GottesSTAAT" wie Iran, dessen Präsident auch immer mal wieder von der Vernichtung Israels schwärmt, auf das Allerschärfste kritisieren!!

     

    Und ihren unterschwelligen NPD-Antisemitismus vom angeblichen jüdischen "Schmarotzer", der angeblich sogar den Holocaust "ausnutzt", um sich zu bereichern, können Sie sich zukünftig bitte sparen!

     

    Hintergrund:

    http://www.bpb.de/themen/6SQ26W,0,0,Sekund%E4rer_Antisemitismus.html

  • O
    Ohje!

    @harun - Dort wo Israel gegründet wurde bestand ja nun nicht wirklich ein Staat, sondern es existierte ein Kolonialgebiet. Israel ist heute Fakt und diese Blut und Boden Gejammer auch in keinsterweise zu irgendwas zu gebrauchen.

     

    @Definition - Semiten haben mit dem Begriff Antisemitismus gar nichts zu tun, weil letzterer immer schon ein politischer Begriff war und auch so geprägt wurde.

  • R
    R.S.

    Nun, wenn die Linke sagt man darf hier nicht immer nur schwarz und weiß sehen würde ich mich freuen wenn sie dies auch mal in ihren eigenen ausasgen berü+cksichtigen würde.

    Hier werden viele konservative Aussagen gleich als "rechts" oder "Rechtspopulistisch" in eine Ecke gedrängt in der sie eigentlich nichts zu suchen haben.

    Bei der Linken gibt es in solchen Fällen auch kein "grau", da gibt es immer nur gleich "Nazi".

  • O
    oswald

    Auch wenn Tiger zu 40 sind werden sie immer Angst von einem Löwen haben...Es geht nicht um Menschlichkeit oder irgendwelche moraliche Kriterien sonderen die Angst, ja die Angst, die ich bei allen Bürgern spüre. Alle Menschen haben das Recht im Frieden zu leben egal, aber das man nur bestimmte Länder kritisieren kann wie Iran ...u. andere nie.

    Bis wann wird man immer die Schuldgefühlsinphonie spielen u.damit melken melken melken...

  • H
    Harun

    "Durch Auschwitz wurde Israel zur Notwendigkeit" behauptet Lederer. Aber niemals hätte ein solcher Staat auf dem Gebiet eines anderen Volkes etabliert werden dürfen. Und wenn, dann in einer nicht-neokolonialistischen und nicht-rassistischen Einstellung und Weise. Siehe die rassistischen Äußerungen führender Zionisten von Herzl über Gurion bis Barak u.a. über

    die Araber und der bis heute herrenmenschliche Umgang der Israelis mit ihnen, den schon Rabbi Y. Leibowicz schärfstens kritisiert hat.

    Der Jude Bodenheimer soll nach dem Krieg vorgeschlagen haben, Israel auf deutschem Boden zu gründen. I c h hätte damit keinerlei Schwierigkeiten, dann hätte die jüdische Besiedelung das an Auschwitz zumindest mitschuldige Volk getroffen.

    Aber "Israel" in Palästina: D a s war keineswegs notwendig. Jemand, der das sagt, tritt die Rechte der Palästinenser mit Füßen!

  • BG
    Bodo Goldmann

    Der Versuch, israelkritische Meinungen sowie Berichte über die Politik Israels gegenüber den Palästinensern mit dem Vorwurf "Antisemitismus" und "Nazi-Äusserungen" zu unterdrücken bzw. zu diskriminieren, ist schon alt - wird aber immer

    wieder gern gemacht.

    Hinweise und Berichte auf die aktuelle planmäßig durchgeführte Verdrängung der Palästinenser aus Ost-Jerusalem, die alltäglichen Menschenrechts-verletzungen der Besatzungsmacht im West-Jordan-Land, die Einsperrung und Einschränkungen der Bewohner Gazas und die Verstöße der israelischen Luftwaffe gegen den Luftraum des Libanon

    sind nicht erwünscht und werden immer wieder mit dem Versuch, diese Berichte als "Antisemitismus" zu brandmarken, bekämpft.

    Es geht den Verteidigern der israelischen Politik nicht um Informationsaustausch oder offene Diskussionen, sondern nur darum, die Meinungshoheit zu behalten und Kritik an der israelischen Politik

    nicht zuzulassen.

    Wobei die Kritik nur darin bestehen kann, vom Alltag

    unter der Besatzung zu berichten.

    Hoffentlich tappt die Linke nicht in diese Falle.

    Denn wir sollten bei aller Historie nicht vergessen,

    wer die Besatzungsmacht ist und wer die von der

    Besatzungsmacht beherrschten.

    Es sind israelische Besatzungs-Soldaten, die grundsätzlich jede friedliche Demonstration gegen

    die Besatzung mit Gewalt auflösen und verhindern.

    Es ist doch klar, das Linke sich mit Unterdrückten

    solidarisieren - auch wenn die Unterdrücker israelische Politiker.

  • D
    Definition

    Die Union mit ihren "Alt-Nazi-Kadern" muß natürlich die Linke angreifen, diese sei "antisemitisch". Dabei stammt der Begriff selbst noch aus der NS-Zeit.

    Der Begriff "antisemitisch" ist hierzulande von Anfang an falsch benutzt worden, denn soviel ich weiß, sind die meisten Semiten Muslime.

    vgl. hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Semiten