piwik no script img

Berliner Bärendienst

■ Zur Schließung der Agrarwissen schaften an der HU

Die Entscheidung des Senats, die landwirtschaftlich-gärtnerische Fakultät an der HU zu schließen, bekundet eine extreme Kurzsicht und Verinselung der Politik. Sie ist kurzsichtig, weil die häufig beschworene Verbindung von Forschung, Ausbildung und Ökonomie in der Landwirtschaft so viel Zukunft hat wie kaum sonstwo. Sie legt Inseldenken offen, weil die Rotstiftpolitiker vergessen zu haben scheinen, wo Berlin eigentlich liegt. Die Annahme, eine Stadt brauche keine Agrarwissenschaften, weil sie das entsprechende Gewerbe (fast) nicht betreibt, ist ähnlich borniert, wie die Meinung, daß sie aus eigener Kraft existieren kann. Als ob der ländliche Raum nicht Voraussetzung wie Kontrapunkt städtischer Ballung ist, als ob vor Berlin nicht die räumlich größte Agrarlandschaft Deutschlands beginnt.

Wirtschaftspolitisch gesehen hat der Raum Brandenburg-Berlin im Kern zwei Zukunftsoptionen. Die dominanten politischen Kräfte haben sich für den Weg der internationalen Standortkonkurrenz entschieden. Zu glauben, daß das weltweit vagabundierende Kapitel ausgerechnet im märkischen Sand mit seinen hohen Lohnkosten Wurzeln faßt, ist jedoch reine Spekulation. Von Blindheit zeugt zudem, daß mit der weltweiten Jagd nach Investoren der absehbare Zusammenbruch der Kapitalverwertung aufgrund wachsender Umweltkosten vergessen wird.

Zukunftsträchtig ist nur der zweite Weg, der mit den Ressourcen des märkischen Landes rechnet und haushaltet. Das Land zwischen Elbe und Oder hat wenig zu bieten, doch dieses wenige wird das Schicksal von Menschen immer mehr bestimmen: Ob sie nämlich in ausreichenden Mengen und Qualitäten abbauen, ernten und verarbeiten können.

Darum braucht jede Region, die nicht auf spekulative Beschaffung, sondern auf Dauer bewirtschaftet, den Landbau, und mit ihm die Kunst und das Know-how, ihn ressourceschonend und nachhaltig zu betreiben. Daher ist jede Region und erst recht jede Stadt gut beraten, auf diese älteste aller Zukunftstechnologien ihre internationale Zusammenarbeit und Partnerschaft zu stützen.

Die Agrarwissenschaft wurde vor 185 Jahren an der Humboldt- Universität begründet. Die HU hat in den letzten Jahren diese Disziplin so erneuert, daß sie Möglichkeiten nachhaltiger Landnutzung ins Zentrum rückt, mit einem Netz an internationalen Kooperationsbeziehungen arbeitet und die technologische Brille um sozialwissenschaftliche Betrachtungsweisen erweitert hat. Bundesweit verbucht einzig die Agrarwirtschaft der HU wachsende Studentenzahlen.

Im Lichte einer nachhaltigen Wirtschafts- und Standortpolitik sägt eine Schließung dieser Fakultät den Ast ab, auf dem auch Berlin sitzt. Gegenüber dem Agrarland Brandenburg, das auf diesen Ausbildungs- und Forschungszweig gerechnet hat, stellt sie eine politische Provokation dar. Wahrlich ein Berliner Bärendienst in der lahmen Fusionskampagne. Und gerade deshalb ein Beleg für die Notwendigkeit, die selbstbezogene Sicht Berliner Politik um den regionalen Horizont zu öffnen. Hartwig Berger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen